Spinoza und Judentum

Zum Verständnis der Haltung Baruch de Spinozas zum Judentum (Spinoza selbst war Jude und wurde aus der jüdischen Gemeinde ausgeschlossen) der (jüdische) Autor Yrmiyahu Yovel:

“In der Identifikation Gottes mit der Welt liegt eine tiefere Ablehnung von Judentum und Christentum als im gewöhnlichem Atheismus. Spinoza behaupte nicht, es gebe keinen Gott, es gebe nur die niedere natürliche Welt. Eine solche Behauptung ist selbst getränkt mit christlicher Weltanschauung.”

“Spinoza betrachtet das Judentum als eine wesentlich politische Religion. Nach der Zerstörung des Tempels, als die Juden ihrer politischen Existenz beraubt waren, verlor auch ihre Religion die Bedeutung: das Judentum wurde historisch obsolet und ein Widerspruch in sich.
Von Spinozas Standpunkt aus ist es absurd und unsinnig, wenn die Gesetze einer Religion, deren ganzer Zweck die politische Verfassung eines konkreten und wirklich theokratischen Staates ist, erst dann beherrschenden Einfluß über die Wirklichkeit erringen, nachdem der Staat selbst vernichtet ist. Von nun an können die Pharisäer die Gestalt zukünftiger jüdischer Geschichte bestimmen. Doch unter den gegebenen Umständen sind die theokratischen Gesetze auf verzerrte und absurde Weise übernommen worden. Ohne konkreten Staat schuf die Phantasie, genährt von Frömmigkeit und dem Haß anderer Völker, ein Phantom als Ersatz, und diese bloß vorgestellte Heimat wurde von den Juden überallhin ins Exil mitgenommen.
Seit Jahrhunderten bewahrt es fanatisch das Phantom seiner ‘Heimat’, das in Wirklichkeit in religiösem Aberglauben wurzelt.
Die Juden betrachten sich nicht nur weiterhin als ein eigenes Volk, sondern auch als ein eigenes politisches Gemeinwesen, ganz gleich wie bizarr und unvereinbar mit der Realität das auch sein mag.”

“Spinoza stellt fest, daß der Haß der Nichtjuden auf die Juden psychologisch motiviert ist, und zwar durch die eigene Xenophobie der Juden gegenüber den Nichtjuden, die ihrerseits wieder vom jüdischen Überlegenheitsgefühl aufgrund ihres einzigartigen religiösen Glaubens herrührt.
War es doch ein Haß, der aus tiefer Verehrung oder Frömmigkeit entsprang und der für fromm gehalten wurde, und einen tieferen und hartnäckigeren Haß kann es nicht geben.”

“Implizit spielt das Judentum bei der Gestaltung einer neuen säkularen Welt eine besondere Rolle, denn es ist sowohl ein Gegenstand paradigmatischer Kritik als auch die Quelle für eine neue universale Botschaft.
Auf dialektische Weise behält bei Spinoza das Judentum also eine zentrale Rolle für die Gestaltung der neuen Welt.”

“Des weiteren impliziert Spinozas Position, daß die Säkularisierung des Judentums als Botschaft für die ganze Menschheit eher das Christentum unterminieren als das Judentum zerstören werde.”

“Das Judentum ist weiterhin der Träger des Menschheitsfortschritts, und die negative wie positive Kritik am Judentum ist der Hebel dieser Evolution.”