Platon, Plotin, Mystagogik

Eine platonische Mystik, ein platonischer Weg läßt sich anhand Platons berühmtem Höhlengleichnis am kürzesten mit folgender Reihe umreißen:

Steh auf, kehr dich ab, steig auf!

Mit “Steh auf!” ist gesagt: Orientiere dich am eigentlichen Wesen deines Selbst, das mit jenen entwickelteren Seinstufen verbunden ist, denen wir das Attribut “oben” verleihen. Es gibt hierbei keinen Grund zur Devotion, denn man selber ist es ja, der von aller Zeit an als Weltbewußtsein am Urgrund des Daseins stand.
Mit “Kehre dich ab” ist gemeint: Entsage der Welt, in folgendem Sinne: Entsage der profanen und trivialen Prozesse und Qualitäten, die das schimärenhafte Wesen der uns als solchen bekannten Welt affimieren und dieses so sogar ausmachen, entsage vor allem auch der Potenzierung der Scheinhaftigkeit duch Abbilder des Abbildes (hierzu Platons Kritik am Schauspiel), entsage schlicht jedem Zweck, der nicht zum Höheren, zum Geistigen ausgerichtet ist. Dies ist auf zweierlei Weg möglich: Durch die Entsagung im asketischen Sinne oder durch die Entsagung durch Durchdringung der Dinge und das Erkennen ihres Wesens. Verneine nicht zwingend alles Hiesige, aber siehe alles Hiesige als Symbol zum Höheren und so zugleich in seiner Begrenzung und Potenz.
Und mit “Steig auf” ist schließlich gemeint: Erkenne, sehe die höhere Bestimmung, werde und sei die höhere Bestimmung, die ein bewußtes und entwickeltes Leben im Über-oder Feinstofflichen meint.

“Das Höhlengleichnis erzählt nun von der durchaus mühsamen Erknntnissuche nach dem ‘Wesen’ der Dinge, die eine anstrengende Abkehr von den alltäglichen Lebenseinstellungen und Gewohnheiten erfordert.”
Dieser Satz stammt aus einem Buch über die Geschichte der Ethik, editiert von neun Professoren der Philosophie. Nun könnten hieran aber neun mal neun Professoren beteiligt sein, so ist dieser Satz doch solange nicht befriedigend, solange er nicht ausreichend die Tatache beleuchtet, daß der Kerngehalt, das Fundament der Philosophie Platons nicht primär aus der Perspektive deduktiver Prozesse und deren Resultate betrachtet werden sollte, sondern hier viel eher eine Kolportage einer initiatischen (Ur-)Erfahrung zu Grunde zu legen ist. Zwar ist das höhere Wesen der Dinge für Platon durchaus ja logisch ableitbar, und zur Evidenz seiner Philosophie muß er hierum enstprechend bemüht sein – doch kann diese Deduktion lediglich als rational abstrahierter (und sprachlicher) Nachvollzug eines Vorgefundenen (Tradierten), einer Gewißheit nämlich von Qualitäten einer höheren ontisch realen Anschauungs- bzw. Lebensebene bezeichnet werden.
In dem Zusammenhang liest sich dann auch folgender Satz wörtlicher, als er in seinem Kontext wohl intendiert ist, denn de facto beschreibt er in seiner Symbolträchtigkeit zugleich eine übersinnliche Konkretion, wie sie etwa in Nahtoderfahrungen geschildert wurde (was eben nicht wundert, handelt es sich dabei doch um Begebenheiten der geistigen (also feinstofflichen) platonischen Hypostasen: “Man zwingt ihn weiter, den steilen und schwierigen Weg zur Höhle emporzusteigen. Mühsam erreicht er schließlich das Freie und ist geblendet von Sonnenlicht, an das er sich erst langsam gewöhnen muß.”

In der späteren Ausdifferenzierung der Prämissen Platons durch Plotin lassen sich im Kontext der “Weltabkehr” vertiefend folgende Sätze sagen:

“Die Seele, die bei ihrem Rückzug im Vollzug der Selbstbesinnung auf die in sich geeinigte Ganzheit des Nous blickt, darf daher nichts mitnehmen von Vorstellungen aus der zerstreuten Sinnessphäre, die zerstreuend ist. Erst im Geist wird der Bezirk erreicht, von dem aus das schlechthin ungegenständliche Sein des Einen zugänglich wird. Sein Innewerden zwingt zum Rückzug des Denkens aus der Vielheit seines Gedachten in eine neue Einheitsdimension von seinsspezifischer Andersheit.” Volkmann Schluck

“Plotin erklärt, dieses Leben, in welchem sich das Sein und das Wissen aufs höchste erfüllen, sei die wahre Physis und ihm gegenüber stelle die sogenannte Physis eine lächerliche Anmaßung und eine bloße Vorspiegelung von Sein dar.” (Dies übrigens wird von Aldous Huxley in seinem Buch über einen Meskalin-Selbstversuch namens “Die Pforten der Wahrnehmung” ganz ähnlich zum Ausdruck gebracht.)

“Die Abwendung von dem Sein in seiner sinnlichen Vorfindlichkeit. Es bedarf einer Blickwendung von der somatischen Natur mit ihrer Grundbestimmung des Werdens und dem räumlichen Außer- und Gegeneinander der Dinge, deren Erfassungsart die sinnliche Wahrnehmung ist, zu einem der intelligiblen Ordnung zugehörigen zugheörigen Seineden von höherem Einheitscharakter.”
(Eine Anmerkung von mir: Die zunhemnde Teilhabe am Geistigen wird bemerkbar durch synchronistische Ereignisse und die verstärkte Empfindung somatisch-energetischer Zustände.)