Genie

Le Bon: “Da die Geschichte, besonders die Literatur- und Kunstgeschichte, nur die Wiederholung der selben Urteile ist, die niemand zu kontrollieren versucht, so wiederholt schließlich jeder das in der Schule Gelernte, und es gibt Namen und Dinge, an die niemand zu rühren wagt.”
Und:
“Man rede uns hinfort nicht von unbeugsamer Gerechtigkeit, dort, wo der bürokratische Hass gegen alle kühnen großen Unternehmungen herrscht. Die Völker bedürfen der wagemutigen Männer, die an sich selbst glauben und ohne Rücksicht auf ihr eigenes Ich alle Hindernisse bewältigen. Das Genie kann nicht vorsichtig sein, mit Vorsicht könnte es den Kreis menschlicher Betätigung niemals erweitern.”

So zeigt sich im Genie, daß es sich ganz um das (eigene) Urteil über das was in ihm selber liegt, bekümmern muß, vielmehr als daß es Resource und Willen hätte, sich um Einordnungen und Einlassungen anderer zu sorgen, denn es muß selber wirken, ohne in Vorsicht nach Berechtigungen oder von außen verliehenen Gültigkeiten und Legitimationen zu fragen. Auch begreift es bald Inspiration als das ganz ihm selbst Zugehörige, das in ultimativer Potenz in ihm residieren mag und nur aus ihm selber (in die Sichtbarkeit) geboren werden kann und so naturgemäß keiner äußeren Zuwendung bedarf. Plotin sagt: “Ist es aber die Seele, die du im andern bewunderst, so bewunderst du damit dich selbst.”
Wesensmerkmal des Genies sind also Willen und Eigenheit: Es drängt in ihm aus tiefstem Beweggrund zur Verwirklichung- der Grund ist dabei in sich selbst vorhanden, er ist ihm selbst eine Kausalität und zeugt vom geistigen Wesen und Tun als selbstentfaltendes, zwingendes Prinzip (zum Werden) im Künstler, der in persona zurücktritt. Plotin: “Da nun die Seele ein so wertvolles, ein göttliches Ding ist, so halte dich durch solche Begründung nunmehr überzeugt daß du mit einem solchen Mittel zu Gott hingelangen kannst und steige gerüstet zu ihm hinauf.”
Alle Veräußerung und pragmatische Erwägung wirkt somit wie nachgeordnet. Das Genie hat daher die Tendenz, seine Errungenschaften – seine “Kinder”- sind sie einmal in die Welt entlassen, zu leichtfertig zu behandeln, denn es ist überzeugt, daß ihre Durchsetzung aus ihrem Eigenvermögen hervorzugehen hat und diese nicht Faktoren der Antragung und Förderung an das Außen obliegt – was aber nunmehr eine Rechnung ist, die nur unter günstigster Konstellation aufgehen kann, da die Außenfaktoren eben keineswegs dieser idealistischen Maxime unterliegen.
Auch die Hinleitungen zur Umsetzung, die Medien, Techniken oder theoretischen Aspekte stehen der Idee, dem Ingenium selbst weit hintan, die Ausführung als solche, das Resultat und das Zwingende des Resultates hingegen sind ihm ganz zentral (haben dabei objekttranszendierenden Charakter) und überwiegen allen anderen Belang um ein Vielfaches. Es geht hiermit ganz um Eigenheit und Kunde. Der Trieb zur Kunde ist Signum des Willens zu seiner Bestimmung, seiner Notwendigkeit. Das Ingenium meint die Anbindung an dieses Prinzip in seiner Umsetzung und somit äußeren Sichtbarwerdung (in Übersteigung und Symbol). Die Kunst(produktion) hat hier bereits ihre eigentliche Intention erfüllt.