Abstraktionen

W. Beierwaltes zum Neuplatonismus: “Die relative und die abbildhafte Einheit in der Seele herzustellen, ist Aufgabe des Denkens – eines diskursiven Denkens, das die einzelnen Gegenstände durchläuft oder durchdenkt, sie im Begründen miteinander verbindet, das Verbundene oder scheinbar Verbundene analysiert und wieder synthetisiert, im (analytischen und) dialektischen Verfahren auf den Ermöglichungsgrund des Gedachten insgesamt zurückführt. Während das vom Geist Gedachte ‘Hieroglyphen’, einem im oder als Bild Geschriebenen oder Dargestellten – gleicht, dessen Sinn mit einem Blick als ganzer erfaßt werden kann, hat die Seele ihre in einer Buchstabenschrift verfaßten Gedanken konsequent zu buchstabieren, d. h. deren Sinn ist erst im Durchlaufen ihres Nach-und Auseinanders evident zu machen.”

Hierzu könnten folgende Sätze Werner Heisenbergs von der Abstraktion der Wissenschaften korrelieren. Auch diese sind darauf bedacht, verschiedene ‘Buchstabierungen’ der Realität (vorgenommen eben innerhalb der wissenschaftlichen Disziplinen) schließlich als Ausdruck und Beschreibung eines ganzen gemeinsamen Ermöglichungsgrundes zu begreifen, der – die Analyse der einzelnen Stränge eben führt hierher – einer Zusammenschau bedarf, wesenhaft zu einer Zusammenschau führen muß – da erst in diesem Zustand schließlich alle Endbestimmung und -erklärung vorliegen kann:

“Die Naturwissenschaft hat den Schritt in die Abstraktion getan, hat die riesige Weite der modernen Technik gewonnen und ist bis zu den Urgebilden der Biologie und bis zu den Urformen vorgedrungen, die in der modernen Wissenschaft den platonischen Körpern entsprechen.”

“Sicher ist, daß in der modernen Naturwissenschaft die Abstraktion eine ganz entscheidende Rolle spielt. “

“Verstehen bedeutet, Zusammenhänge erkennen, das Einzelne als Spezialfall von etwas Allgemeinerem sehen. Der Schritt zum Allgemeineren ist aber immer schon der Schritt in die Abstraktion, genauer: in die nächsthöhere Stufe der Abstraktion; denn das Allgemeinere verbindet ja die Fülle verschiedenartiger Einzeldinge oder Vorgänge unter einem einheitlichen Gesichtspunkt, und das heißt zugleich unter Absehen von anderen, als unwichtiger betrachteten Zügen, mit anderen Worten, durch Abstraktion.”

Was kann nun ein solches “Absehen” im neuplatonischen Kontext heißen?
Zuvorderst geht es auch hier um Ent-Bildlichung als einen Blick hinter die Explikation, die ja gerade im Sinne der Physik nach Planck nicht einmal wesenhaft physikalisch-materiell genannt werden kann. Die Rückführung der einzelnen Beobachtung (und letztlich Symbolik, man nehme als ein Beispiel für Symbolik etwa das Bohr’sche Atommodell) zu ihrem Grund bildet zuläßt einen gemeinsamen Nukleus, aus dem sich dann alles der Beobachtung und Beschreibung Vorfindliche entfalten läßt. Dieser Grund ist jedoch zuletzt prä-materiell. Ein “Absehen von als unwichtiger betrachteten Zügen” ist im neuplatonischen Sinne – wie auch der gesamte Vorgang der Abstraktion – kein Hinwegnehmen im Sinne eines Auslassens oder Substrahierens, sondern es handelt sich vielmehr um ein Durchdringen auf den ersten Grund räumlich entfalteter – “buchstabierter”- Existenz, der bereits das ganze Wesen hat, nur in viel wesenhafterer/ wesentlicherer Form und daher ontisch – obwohl nicht explizit ausgesprochen – weit höherrangig ist.
Nach Proklos: “Die Modifikation der Vielheit ‘außen und innen’ müssen aufgehoben werden. Aufhebung meint hier, daß durch die Abstraktion die Spur des Einen im Vielen sichtbar gemacht werde.” (Beierwaltes)

Und: “Dialektik ist Prinzip jedes wissenschaftlich gesicherten Wissens, d.h. sie begründet, umfaßt und vollendet alle anderen Wissenschaften, indem sie deren Anfänge eint und und in den Anfang aller zurückführt. Sie konstituiert die zeitlichen und sachlichen Anfänge jedes wissenschaftlichen Wissens (also jeder Wissenschaft), indem sie den Weg zu diesem Wissen als Auflösen (Analysis), Scheiden (Dihairesis), Bestimmen und Erweisen sich vollziehen läßt, diese muß in einer Synthesis oder Synagoge und damit in der Evidenz eines Ganzen enden.” (Beierwaltes)

Diese Analyse indes führt immer zurück zum Atom und sucht dann ein prämaterielles ‘Davor’!