Tacitus und Meister Eckhart

Tacitus, Germania: “Übrigens glauben die Germanen, daß es mit der Hoheit des Himmlischen unvereinbar sei, Götter in Wände einzuschließen und sie irgendwie menschlichem Gesichtsausdruck anzunähern: Sie weihen Lichtungen und Haine und geben die Namen von Göttern jener weltentrückten Macht, die sie allein in frommem Schaudern erleben.”
Meister Eckhart:” Ein Mensch gehe übers Feld und spreche ein Gebet und erkenne Gott, oder er sei in der Kirche und erkenne Gott: erkennt er darum Gott mehr, weil er an einer ruhigen Stelle weilt, so kommt das von seiner Unzulänglichkeit her, nicht aber von Gottes wegen: denn Gott ist gleicherweise in allen Dingen und an allen Stätten.”
“Drum wirf sie hinaus, alle Heiligen und Unsere Frau aus Deiner Seele, denn sie alle sind Kreaturen und hindern dich an Deinem Gott. Ja, selbst Deines gedachten Gottes sollst du quitt werden, aller deiner…Gedanken und Vorstellungen über ihn.Drum..behänge ihn nicht mit Kleidern..sondern nimm ihn ohne Eigenschaften.”
Die Korrelation ist unübersehbar: Nicht ein Bild und keinesfalls die Repräsentanz eines sakralen Kirchenbaus kann dem wahren Göttlichen in irgendeiner Weise dienlich oder angemessen sein. Allerdings übersteigt Eckhart den von Tacitus beschriebenen  heidnischen Anspruch. Denn nach seiner Einsicht wäre überhaupt keine Stätte der gesonderten Sakralisierung wert, so wie ein heiliger Wald nicht einer Kirche vorstünde, so wenig Bedeutung hätte ein Sakralbau vor irgendeinem Platz in der Natur. Denn einerseits ist ihm alles Geschaffene ein Nichts ( Fichte, der zu ganz ähnlichen Schlüssen kam, nannte sich in dieser Hinsicht selber einen Akosmisten), Gott ist ausschließlich im und durch den Intellekt -und dieser schließlich waltet überall unabhängig von jeder äußeren Bedingung;  sobald seine  Entkleidung von der raumzeitlichen Zugabe gelingt, kommt er zu seiner eigentlichen  Wesenhaftigkeit und mindert gleichzeitig die eigene constitutio des Menschen als Subjekt.
Verbindend zwischen alter germanischer Auffassung und Meister Eckharts spiritueller Autarkie ist hier eine besondere Demut vor der “Transzendenz des Transzendenten”. Diese übersteigt weit den biblischen Impetus und bildet sich von christlich dogmatischer Sichtweise  als Position einer Gott-transzendierenden Ketzerei ab.