Jaspers, das Mythische

Karl Jaspers: “Nicht Vernichtung, sondern Wiederherstellung der mythischen Sprache ist der Sinn. Denn sie ist Sprache jener Wirklichkeit, die selber nicht empirische Realität ist, der Wirklichkeit, mit der wir existentiell leben, während unser bloßes Dasein sich ständig an die empirische Realität verlieren will, als ob dies allein schon die Wirklichkeit selber sei. Das Recht zur Entmythologisierung hat nur der, wer die Wirklichkeit in der Chiffresprache des Mythischen um so entschiedener festhält.”
Zum Einen: Jaspers weißt hier zurecht auf eine  fundamentale Anmaßung unserer Zeit  hin, die tatsächlich die Gleichsetzung des empirisch Erfahrbaren mit der Realität selber voraussetzend eine ontisch verengende Agenda und Daseinsdefinition betreibt. Dies ist gerade Vermächtnis der Metaphysik-Kritik wie der positivistischen und wissenschaftsabhängigen Denkart, ebenso aber der christlichen Trennung in die zwei Reiche, die der Schöpfung keinen Jota ihres ontischen  Wirklichseins  abzusprechen bereit war und sie gerade so  zu einer  antitranszendenten Gegenwelt vergrößerte.  Und: Die Wissenschaft seit Planck selber hat es versäumt -wohl auch weil eher  selten eine Gesamtschau über ihre naturphilosophischen Implikationen versucht wurde- , ihre fundamentalen Aussagen über die mitwirkende Rolle des Beobachters, des Subjektes an den empirischen Prozessen über die Objekte, über seine apriorische Position zur Welt als natura naturans herauszustellen. ‘Wissenschaftsglaube’ wird dann ein treffender Anwurf, wenn Wissenschaft in ihrem inhaltlich veralteten Sinne verstanden wird und  dabei also den dynamisierenden Vorgang  einer fortwährenden Falsifizierung unterläßt, sich in der Statik ihres Wahrheitsbegriffes dem Impetus der Offenbarungsreligionen  annähert.
Die Progression der bewußten  Kenntnis über die Dinge meint zwar zugleich eine  Entmythologisierung, in dem sie die Sprache oder Chiffre eben  ändert und konkretisiert (jedes Symbol ist Vergröberung, ist ein Verlust am Detail und Gehalt),  nämlich zu ihrem wahren Inhalt hin, der so also in die Nähe rückt  und nicht  in seinem In -Ruhe-Gelassen-Werden, im seinem Entrückt-Bleiben als Mythos im Jaspers’ schen  (bzw. im allgemein hergebrachten) Sinne verharren kann.  Wird aber das Unerklärte erklärbar, führt dies nicht zur Entzauberung , sondern im Gegenteil zur Überführung der Profanität des Daseins in das Numinose.  Jaspers hingegen ist meines Wissens bemüht , einen numinosen Raum fernab der menschlichen Begehrlichkeit und Erreichbarkeit zu bewahren (was  eine Denkart in theistischer Tradition offenbart).

Und weiterhin: Ist ‘Mythos’ alleine schon ein sich selbst legitimierender Begriff ? Welcher Mythos hat eine Berechtigung als Mittler tieferer Wahrheit, welcher Mythos hingegen ist – etwa politisch oder gesellschaftlich unter Zwang vestetigte Kolportage (des Falschen)-, ist ohne Belang, ohne Zeitlosigkeit (ist zeitlich und örtlich gebunden und geschichtlich obsolet), ist eigeninteressegeleitet,  machtheischend, betrügerisch, legitimatorisch usw?