” Eben im Zusammenhang mit dieser Weltverleugnung ensteht auch die Forderung nach Enthaltsamkeit von dem aktiven und verbietenden Kampf gegen das Böse: Die äußere Welt liegt im Bösen, und in dessen Erkenntnis ist der Mensch besonders eingeschränkt, deswegen muß er nach und nach aus ihm seinen Willen entfernen, und das Unausweichliche geschehen lassen.”
(I. Iljin über Tolstoi)
Tolstoi: ” Das Vorwärtsschreiten der Menschen zum Guten wird nicht durch die Marternden bewirkt, sondern durch die Gemarterten. Gleichwie Feuer nicht Feuer löscht, so kann Böses nicht Böses ersticken. Nur das Gute, wenn es auf das Böse stößt und von diesem nicht angesteckt wird, besiegt das Böse.”
Tolstoi zitiert in seiner Zitatensammlung “Für alle Tage” aber auch Konfuzius: “Es ist Feigheit, wenn man weiß, was sich gebührt und es nicht tut.” Insofern ist hier der Indifferenz und einem Nicht-Tun, einem Sich-Nicht-Verhalten gegenüber dem Ungebührlichen denkbar ein Riegel vorgeschoben.
Tolstoi: ” Und wenn dieser Fortschritt ein langsamer ist, so ist das nur, weil die Klarheit, die Einfachheit, die Verständlichkeit und die Verbindlichkeit der Lehre Christi, den meisten Menschen verborgen wird, verborgen auf die schlaueste und gefährlichste Weise, unter einer fremden Lehre, die fälschlich mit dem Namen der Lehre Christi bezeichnet wird.”
Kannte er aber die wahre Lehre?
In den Apokryphen von Nag Hammadi finden wir den jesuanischen Auftrag in aller Kontur, man kann sagen – in besonderer Schärfe formuliert. Jesus sagt dort:
“Wer mir nahe ist, ist dem Feuer nahe. Und wer mir fern ist, ist dem Königreich fern.” Und: “Ich habe Feuer auf die Welt geworfen und siehe, ich hüte es, bis es lodert.” Und: “Vielleicht denken die Menschen, daß ich gekommen bin, um Frieden auf die Welt zu werfen, und sie wissen nicht, daß ich gekommen bin, um Spaltungen auf die Erde zu werfen, Feuer, Schwert, Krieg. ”
Gerade aus dem Verständnis einer wesenhaften Untrennbarkeit der verschiedenen Daseinsbereiche (Tolstoi ist noussphärischer, platonisierender Christ) läßt sich keine schlüssige weltflüchtige oder quietistische Haltung formulieren. Man kann zwar (berechtigt) das Interesse von der Gestalt der Welt abziehen, man kann jedoch nicht die ja alle Welt durchwirkenden universalen (geistigen)Gesetze hinter sich lassen und somit die hieran gekoppelte Verantwortung fliehen (indem man die hiesige Welt in ihrer Gestaltung als gesondert betrachtet). Der Mensch wirkt in ontologischer Teilhabe schon gegenwärtig in alle Bereiche (und ist umgekehrt Wirkung seiner höheren Aspekte), ist sogar (für ewig) nur aktual im Vollzug des sich Verhaltens zur Gegenwart eigentlich tatsächlich seiend.
Fichte sagt: “Nicht erst, nachdem ich aus dem Zusammenhange der irdischen Welt gerissen sein werde, werde ich den Eintritt in die überirdische erhalten; ich bin und lebe schon jetzt in ihr, weit wahrer, als in der irdischen.”
Und Angelus Silesius: “Die Seel’ , ein ew’ger Geist, ist über alle Zeit: Sie lebt auch in der Welt schon in der Ewigkeit.”
Es liegt hier also keine Diskontinuität vor. Und darüberhinaus: Auch ein evolutionäres Voranschreiten hat ja durchaus seinen vehementen, kämpferischen Aspekt, der nämlich in seiner Stetigkeit und Unnachgiebigkeit, seinem unbedingten Wunsch zur Entwicklung besteht, was eben aus der naturgegebenen Anlage zur Aufwärtsbewegung resultiert. Und so wie man sagen kann, daß der tatsächliche und einzige Ausgriff zur Ewigkeit die Beziehung zum Gegenwärtigen bezeichnet, so ist eben auch nur die Unmittelbarkeit der sittlichen Positionierung und ihr entsprechender Vollzug in all seiner Tatsächlichkeit und Gegenwärtigkeit (zum Geistigen) evident.
Der Kontrapunkt zum ‘Sich Martern lassen’ meint nun nicht ‘Andere martern’, sondern vielmehr das Wahre zu mehren (einem Brand gleich, man kennt dieses Wort von Meister Eckhart) und nicht die Schmerzen zu scheuen, die dies einem selbt, aber eben auch Anderen bereitet.
Die Alternative wäre ein Gewährenlassen der Lüge, des Falschen, des Bösen (in persona also des Teufels) und somit die Hemmung des individuellen und universalen Erlösungswerkes unter Negierung der eigenen Verortung und Verantwortung – also unter einer Unterlassung – die so eben gegen das Gute gerichtet – auch in ihrer Passivität als ‘böser Vollzug’ benannt werden kann.