Heilslehren, säkular

“Moses Hess konnte mit den Zügen von Karl Marx nicht in Frieden leben, deretwegen Heinrich Heine ihn seinen ‘verstockten Freund” genannt hatte, mit dem rücksichtslosen Amoralismus, der in den Dienst menschlicher Erlösung gestellt war und den Lenin später seiner bolschewistischen Theorie einverleibte. ” (Yirmiyahu Yovel)

Werner Heisenberg sagte während der Weimarer Zeit:  “Ich glaube daher, daß man eine politische Bewegung nie nach den Zielen beurteilen darf, die sie laut verkündet und vielleicht auch wirklich anstrebt, sondern nur nach den Mitteln, die sie zu ihrer Verwirklichung einsetzt. Diese Mittel sind leider bei den Nationalsozialisten und bei den Kommunisten gleich schlecht, sie zeigen, daß auch die Urheber nicht mehr an die Überzeugungskraft ihrer Ideen glauben, daher kann ich mit beiden Bewegungen nichts anfangen, und ich bin zu meinem Kummer überzeugt, daß aus beiden nur Unglück für Deutschland herauskommen kann.”

Worin liegt das Ungangbare und schließlich das Unglück Bringende  der Verwirklichung  säkularer Heilsvorstellungen?   Es existiert eine zwangsläufige  Inkongruenz von Bewußtsein und Befähigung der Menge zur  eingeforderten gesellschaftlichen (und also auch individuellen) Entwicklungsmöglichkeit und -geschwindigkeit , die nur über eine evolutorische Diskontinuität (setzt man überhaupt die Möglichkeit  zu einer globalen  Progression voraus), über einen “verordneten Sprung”  kompensiert werden kann,  es kommt zu Umbrüchen, zur Revolution – das Rücksichtslose, das Gewaltsame liegt dabei  eben in der Übergehung der Notwendigkeit des  Schritthaltens des sich geschichtlich entfaltenden Subjektes mit seiner eigenen Anlage zur Entfaltung, was meint, daß nun Veränderung nicht mehr aus sich heraus vollzogen und erklärbar wird und daher  vielmehr als Resultat  nicht oder nur unvollständig integrierbarer Verordnung denn  evolutorischer,  innerer Notwendigkeit zur Verwirklichung kommt. (Sieht man einmal davon ab, daß  grundlegender noch  das Gewaltsame in den Proklamationen selber liegt, da diese den menschlichen Telos einer willkürlichen Prozedur und  unbewiesenen, verkürzten Zielsetzungen unterwerfen).

Und ein Wort zum inneren Verhältnis von Offenbarungsreligion und säkularer Heilslehre:
Nicht der Krieg, aber der Widerstreit (ist nach Heraklit, dann Hegel) der Vater aller Dinge. Aufgehoben sein kann der Widerstreit nur an einem hypothetischen Endpunkt der Geschichte. Diesen erwarten und erhoffen die Offenbarungsreligionen seit einigen tausend Jahren (vergeblich bisher). Und das säkulare Derivat der Offenbarungsreligionen, der Sozialismus, zeigte sich nun also weniger geduldig und beschloss daher, die Erlösungsung zu forcieren (man hat es ja nun selber in der Hand). Dies erklärt auch, warum er keinen Widerspruch zulassen kann. (Gemeinhin bekannt auch als ‘Der große Sprung’ – Über die Dialektik hinweg .)