Opfertum und Hinderung

Assmann: “Ein wichtiges Thema des griechischen Ägyptendiskurses müssen die priesterlichen Lebensregeln gewesen sein, auch wenn sich davon nur wenige Reste vor allem bei Porphyrios und Jamblichos erhalten haben, die weitgehend auf Chairemon basieren. Die Griechen erblickten in der Lebensweise der ägyptischen Priester das Vorbild des bios theoretikos (vita contemplativa), eines in Studium, Meditation und Gebet verbrachten Lebens, das an strikte Regeln gebunden ist und zugunsten geistiger Gottesnähe auf alle äußeren Genüsse und Glücksgüter verzichtet. Chairemons Priester leben im Tempel wie in einem Konvent und vermeiden den Umgang mit der Außenwelt. Sie üben sich in Askese und Selbstkontrolle, bewegen sich gemessenen Schritts, lachen nie und lächeln höchstens gelegentlich, schlagen die Augen nieder und verbergen die Hände in den Ärmeln. Sie wenden sich von der Welt ab und assimilieren sich mit der Gottheit. Als ‘göttliche Männer’ und ‘Gottesfreunde’ vermögen sie es, aus eigener Kraft sich dem Höchsten Wesen von Angesicht zu Angesicht zu nähern”.
Pythagoras soll diesen Lebenstil bei den ägyptischen Priestern erlernt und dann zur Grundlage seiner eigenen Gemeinschaft gemacht haben.”
“Eine besondere Rolle spielt die ägyptische Religion in der Diskussion um die blutigen Opfer, die im Zuge eines allgemeinen mentalitätsgeschichtlichen Wandels in der Zeit des Hellenismus in Kritik geraten waren. Der Peripatetiker Theophrast schreibt den Ägyptern die erste Einrichtung von Götteropfern zu; diese hätten in Gräsern und Wurzeln bestanden, die man ins Feuer geworfen hätte. Die vegetabilischen Opfer sind die richtigen, weil sie um so vieles älter sind als die blutigen Opfer. Ägypten dient aufgrund seines hohen Alters als Norm und Vorbild; was man hier beobachtet, wirkt als Kritik auf die eigene Kultur zurück.”

Meine knappe Anmerkung: Mir erscheint das Pflanzenopfer als Wunsch zur noussphärischen Kontaktaufnahme: Man will Zeichen geben, die sich dem Feinstofflichen ähnlich machen, dies zur Verbindung der Lebensbereiche oder Sphären. Der Rauch sagt: Ich bin hier (unten) und strebe nach dir, zum Höheren.
Das blutige Opfer hingegen ‘lebt’ nicht vom Rauch, sondern vom Wert und Tod des Opfertieres, es will handeln, will Ablaß, will erwirken, ist ganz Ausdruck anthropozentrischer hiesiger Begehrlichkeit. Mit der Umfassung durch die levantinischen Systeme hat sich das zweite Modell geschichtlich weit über den Globus durchgesetzt. Es ist Aspekt der massenwirksamen Hinderung der Teilhabe am Höheren und Guten.