Max Weber, Protestantismus

In der Formulierung der protestantischen Lehre, die den Menschen ursächlich als allein  gnadenabhängig deklariert, wird nun als höchstes Ziel für das hiesige Dasein eine Gnadengewißheit ausgegeben. Hierin zeigt der lutherische Grund der protestantischen Ansicht in Folge zugleich ihre Unentschlossenheit und ihren Mangel an theologischer Konsequenz.
Max Weber: “Es wird einerseits schlechthin zur Pflicht gemacht, sich für erwählt zu halten und jeden Zweifel als Anfechtung des Teufels abzuweisen, da ja mangelnde Selbsgewißheit Folge unzulänglichen Glaubens, also unzulänglicher Wirkung der Gnade sei… Um jene Selbstgewißheit zu erlangen, wurde als hervorragendes Mittel rastlose Berufsarbeit eingeschärft. Sie und sie allein verscheuche den religiösen Zweifel und gebe die Sicherheit des Gnadenstandes.”
“Daß die weltliche Berufsarbeit zu dieser Leistung für fähig galt, -daß sie, sozusagen, als das geeignete Mittel zum Abreagieren der religiösen Angstaffekte behandelt werden konnte…” (Max Weber)
Die Arbeit hat hier also neben der Gnadenvergewisserung noch die zweite Funktion der glaubenspraktischen Disziplinierung. Kritisch anzumerken ist hier bereits,  daß schon die Proklamation der eigenen Erwählung einen Austritt aus der Gnadenkonzeption markiert  und eine prinzipiell unautorisierte Selbstermächtigung darstellen muß.
Was Max Weber als innerweltliche Askese  benennt, kommt dabei in der praktischen Alltagsimplikation dem zweckunterworfenen Leben tatsächlicher selbserlöserischer (spiritueller) Wege mitunter gar nicht wenig nahe. Allerdings fehlt hier der Inhalt zum Transzendenten als Werksvollzug. Das Werk wird bei der protestantischen  Askese (oder Pseudoaskese) ja quasi beliebig, da  es nicht Gnade bedingt, sondern lediglich Gnade bezeugt. Hierin zeigt sich die Grundposition des Theismus als problematisch: Man soll keinen  (wesensbezogenen) Anteil am Geistigen bzw. Göttlichen haben, Sanktion (Gnade), nicht etwa Aktion  ist Mittel des  spirituellen Vorwärtskommens  und Erfolges.  Wegen der für unmöglich gehaltenen Befähigung zur eigenen Erhebung muß sich ein nichtsdestotrotz zur Betätigung drängender Impetus (als eine positive Sanktion Gottes verbrämt)  dann  im Materiellen, im weltlichen Erfolg abbilden.
Max Weber hat  nachvollziehbar dargestellt, daß hierin  eine entscheidende Wurzel zum  Erfolg des modernen Kapitalismus angelegt ist. 
Im Verlauf entwickelt  die protestantische Ansicht nun aber doch die Vorstellung, daß eine rationale Methodik einen Weg eröffnen könne, Gott näher zu kommen – somit soll nun sehr wohl  eigentätig  an der Erlösung mitgewirkt werden. Auch in dieser Entwicklung wird der Gnadengedanke verlassen,  ich deute dies durchaus als einen  Hinweis darauf, daß der (bei Luther angelegte) religiöse Ernst, der ja  auf den geistigen Kern des Menschen verweisen muß,  nun aber  unter jeden Umständen zur ihm ureigen angelegten  Entwicklung  kommen will –  hier wird  also zugleich die lutherische Prämisse (der Unterwerfung) transzendiert: Wollte Luther mit seinem sola gratia den Glaubensernst betonen, muß dieser im Vollzug gerade das Gnadenkonzept übersteigen. Die Inkonsistenz liegt darin, daß man einen  Glaubensernst erstrebt, aber die eigentliche Verortung und echte Möglichkeit  zu dieser Ernsthaftigkeit – die innere Teilhabe am göttlichen Prinzip – nicht anerkennt, diese aber  – nun unter (falschen) theologischen Prämissen verzerrt- doch ihre Eigenwirksamkeit zu entfalten beginnt.
Weiter Max Weber: “Die völlige Ausschaltung …aller jener Fragen nach dem Sinn der Welt und des Lebens verstand sich für den Puritaner ganz wie von selbst. …Und übrigens im gewissen Sinn für die nichtmystische christliche Religiösität überhaupt.” So bleibt die eigene Annäherung prinzipiell eine blinde. Und doch: “Ein waches, bewußtes, helles Leben führen zu können, war das Ziel.”  (Weber) Dieser Satz könnte auch neuplatonisch sein, würde sich das Helle tatsächlich spirituell, durch eine ontische Hebung herausarbeiten, deren Nicht-Vollbringung  weder durch die Betonung einer an das Neue Testament angelehnten praktischen Ethik  der späteren protestantischen Sekten (und hiermit wiederum durch ein Übersteigen der Gnadenkonzeption)  noch durch subjektive, suggerierte Erweckungshysterien kompensiert werden konnte.