Welt und Wahn

C.G.Jung: “Größer als alle physischen Gefahren sind die gigantischen Wirkungen der Wahnvorstellungen, denen doch unser Weltbewußtsein jegliche Wirklichkeit absprechen möchte. Unsere hochgepriesene Vernunft und unser maßlos überschätzer Wille erweisen sich gegebenenfalls als machtlos gegenüber dem ‘unrealen’ Gedanken. Die Weltmächte, welche die gesamte Menschheit auf Gedeih und Verderb regieren, sind unbewußte psychische Faktoren, und sie sind es auch, welche das Bewußtsein und damit die conditio sine qua non für die Existenz einer Welt überhaupt hervorbringen. Wir sind überwältigt von einer Welt, welche durch unsere Seele geschaffen wurde.
Daran läßt sich die Größe des Irrtums bemessen, den unser abendländisches Bewußtsein begeht, wenn es der Seele nur eine aus materiellen Ursachen abgeleitete Wirklichkeit zugesteht.”

Ein Satz aus dem gnostischen “Evangelium der Wahrheit”: “In der Einheit wird jeder einzelne sich selbst empfangen; im Wissen wird er sich selbst retten von der Vielheit in die Einheit, indem er die Materie in sich selbst – einer Flamme gleich – verzehrt, und (wie) die Finsternis durch Licht, der Tod durch Leben (verzehrt) wird.”

Nähert sich die Seele ihrer hohen Bestimmung, ist auch nicht mehr Welt. Die Welt: Ein Wahngebilde. Der Weltarchont als Summe kollektiven Wahns, als gestaltgewordene Projektion des eigenen Vergessens unterliegt zuletzt dem ersten (hohen, transzendenten) Menschen, der über ihm stehend sich besinnt auf die eigene Herkunft und daher Welt (somit Tod) überwindet. Dieser erste Mensch ist, obwohl in unser Menschsein hinein-hypostasiert in seiner ganzen Kraft und Ursächlichkeit wesenhaft in uns und übersteigt im -besonnenen – Einzelnen daher die Weltenmacht, den Wahn, somit die Definition und Grundlegung von Welt selbst. Das Kollektiv kann den Wahn also dann durchbrechen, wenn das nun überwiegende Einzelne ihn nicht mehr nährt. Jedoch ist dieses Ziel als Hiesiges zugleich als utopisch zu werten, weil Welt eben selbst mit Wahn korreliert, aus ihm hervorgeht. Vergeht die Anhaftung an Welt, dann vergeht auch die Welt. Weltentwicklung ist Weltüberwindung.