Seele und Eidos

C.G. Jung: “Je größer die Ladung des kollektiven Bewußtseins, desto mehr verliert das Ich seine praktische Bedeutung. Es wird von den Meinungen und Tendenzen des kollektiven Bewußtseins gewissermaßen aufgesogen, und dadurch entsteht der Massenmensch, der stets einem -ismus verfallen ist. Das Ich bewahrt nur eine Selbstständigkeit, wenn es sich nicht mit einem der Gegensätze identifiziert, sondern die Mitte zwischen den Gegensätzen zu halten versteht. Dies ist aber nur dann möglich, wenn es sich nicht nur des einen, sondern auch des anderen bewußt ist. Die Einsicht wird ihm allerdings nicht nur von seinen sozialen und politischen Führern schwer gemacht, sondern auch von seinen religiösen. Alle wollen die Entscheidung für das eine und daher die restlose Identifizierung des Individuums mit einer notwendigerweise einseitigen Wahrheit. Selbst wenn es sich um eine große Wahrheit handeln sollte, so wäre die Identifizierung damit doch etwas wie eine Katastrophe, indem sie nämlich die weitere geistige Entwicklung stillstellt. Anstatt Erkenntnis hat man dann nur noch Überzeugung, und das ist manchmal viel bequemer und darum anziehender.”

Hier offenbart sich C. G. Jungs Denken als gnostisch beeinflusst. Man weiß von ihm über die Fürsprache wie auch über die Kritik an (religiöser) Tradition und Symbolik. Denn dem Symbol ursächlicher (oder wahrer) Offenbarung mußte dem Gehalt nach über die Zeit und Vermittlung (und einen Mißbrauch) ein guter Teil der Bedeutung und Möglichkeit zur Erfassung abhanden kommen, und so soll das Symbol vielmehr in einem teleologisch-progressiven Prozeß als das Motiv wieder- erarbeitet werden, das es einer Ewigkeit nach in seiner vollen Bedeutung immer repräsentiert (hat). Vorzugsweise ist dies ein Verlauf, der das Psychische des Individuums immerwährend hebt, indem es jenes insoweit entwicklungsfähig macht, daß es sich mit dem Ureigensten, was nicht mehr das Individuelle, sondern das Verbindende, Archetypische und letzte Wahre und Ungefundene meint, verbindet.
Und Volkmann-Schluck zum Neuplatonismus: “Das Problem des Verhältnisses von Seele und Eidos verwandelt sich bei Plotin in das Problem des Seins der Seele zu sich selbst, in dessen näherer Ausarbeitung das Verhältnis der Seele zum Nous als dem denkenden Innesein der Eide in die Mitte tritt, und zwar so, daß gegenüber dem Nous, der nicht nur die Eide schaut, sondern sich in den Noeta selbst als denkendes Sein schaut, die Denkweise der Seele als uneigentliches Sein des Geistes erscheint, ihre Denktätigkeit als abbildhafter Nachvollzug des Inneseins des Gedachten im Nous.”
Und dies heißt: Mit dem Denken ist immer auch sein ureigenes Telos gleich mit aufgegeben, sich selbst in die ihm eigene Totalität zurück- und hinaufzuführen. Denken wird hiermit zu gesteigertem (feinstofflichem) Sein.