Gnostische Etappenlösung

Wladimir Solowjew: “Der teleologische (Gottes-) Beweis leitet das Dasein Gottes aus der Weltteleologie, der zweckmäßigen Einrichtung der Natur, ab. Die von unserem Urteilsvermögen verzeichnete Zweckmäßigkeit der physischen Welt besitzt, selbst wenn man ihr sogar eine von unserem Intellekt unabhängige Geltung beimißt, auf jeden Fall nur einen relativen und formalen Charakter. Zu ihrer Erklärung würde es genügen, eine gewisse aufbauende und bildende Kraft, die zweckmäßig handelt, das heißt einen Demiurgen, anzunehmen, nicht aber einen allgütigen, allweisen und allvollkommenen Gott. ”

Dies ist sehr richtig gesagt, und hier zeigt sich der ganze Vorteil der Gnosis, der ja entscheidend darin liegt, daß sie der Frage der Theodizee konsistenter antworten kann als das kirchliche Dogma. Die Gnosis bewahrt den göttlichen Funken im Menschen – de facto estimiert sie ihn viel höher als die Kirche (die ihn nicht univok göttlich anerkennt), stellt aber zugleich heraus, daß diese Disposition ganz elementar von einer aktiven und reduktiven Instanz an seiner Entfaltung gehemmt wird. Im Menschen selber bildet sich diese Welt der zwei Sphären ab, nämlich zum Einen als Beziehungsfähigkeit und ontische prinzipielle Verbundenheit (im Sinne der Wesensgleichheit) zum Höchsten, und zum Anderen aber taucht der Mensch tief ein in den Bereich des Nichtwissens, des Widerstreits und der Entfernung von der eigenen geistigen Grundierung hin zur niederen Stofflichkeit. Die Erfahrung der individuellen wie weltgesamten Defizienz gereicht den Aussagen der Gnosis und ihrer negativen Grundhaltung dabei zu ganz offensichtlicher Berechtigung. Die augenscheinliche Trennung und Entfremdung wird besonders stark hervorgehoben, das Wesen der Welt adäquat pessimistisch ausgedeutet. Die menschliche Konfusion und das tief eingepflanzte Nichtwissen über die Eigentlichkeit und Teilhabe ist in der Tat viel eher als Anlage eines unvollständig abgebildeten Ens erklärbar (eines stümperhaften Gottes zweiten oder dritten Ranges) denn als das Werk eines allgütigen Gottes, denn warum sollte – der Grundfrage der Theodizee gemäß – eine allgütige Macht es als nötig erachten, eine derartige Disposition für Leid, Tod und Destruktion zu schaffen und also die Welt derart konstituieren, daß – im göttlichen Wissen um alle leidvolle Konsequenz – eben dies als intentionaler Akt ersichtlich wird. Die hegelianische Konzeption der Explikation, in der sich der wahre Charakter des Absoluten in der Setzung eines Gegensatzes offenbart, ist insofern schon anfällig, als das das Eine sich dieser Art nicht mit sich selbst bekannt zu machen hätte, es könnte dies wegen seiner Allmacht auch auf andere, uns ganz unerklärliche Art tun (oder dies völlig unterlassen). Wir unterliegen hier der Gefahr einer anthropischen Bezugnahme, die unsere menschliche Einsicht zum Maßstab über etwas nimmt, was eben erst durch unsere Einsicht zur Kategorie wird, diese aber fälschlicherweise als Außen oder selbstevident erachtet (prinzipiell eine Verletzung des Prinzips einer Theologica negativa). Aber auch die Gnosis kann selbstredend nicht die letzte Lösung des malum metaphysikum bieten, denn es bliebe ja die Frage, warum ein Demiurg die Macht haben solle, gegen Gottes (allgütige und allgültige) Gesetze zu handeln. (Was der Verlagerung des Problems ins Numinose gleichkommt.) Und doch bietet die Gnosis immerhin eine “Etappen-Lösung” – eine Erklärung für den bekannten, defizitären Status unseres Selbst, und somit unserer Welt.