Plotins Mystik und die Defizienz des Vielen

Wegweisungen zum Verständnis von Plotins Mystik:
(Zitiert aus  Volkmann Schluck, Plotin als Interpret der Ontologie Platos)

-Der Sinn des Nichtseins ist nicht Vernichtung des Seinsgehaltes, Minderung der Wirklichkeit von etwas, sondern es ist selbst eine Weise der Sichtbarkeit des Seienden, das sich immer als unterschiedene Vielheit zeigt.
-Die vollendete Selbstanschauung erreichen heißt für die Seele, sich über sich selbst emporschwingen und das eigene Sein, das nur Hinweg zu ihr selbst ist, hinter sich lassen, um in sich selbst hineinzukommen.
Bei der Erhebung zum Nous schließt das volle und ganze Sich-Gegenwärtig-sein im Nous die Vergessenheit dessen ein, was die Seele in ihrer Besonderung war.
Wahres Schauen ist die Hineinbildung des geschauten Selbst in das Schauende.
-Nur wenn der Schauende sich nicht reflexiv auf sich selbst zurückwendet, kommt das Schauen zur Erfüllung. Solange es noch selbsständig dem Geschauten gegenübersteht, hat das Schauen sein Sein noch außer sich.

Warum überhaupt der Blickwinkel auf die Einsheit, warum dieser Telos der Selbst-Überwindung?

“Die Begegnung des Denkens, durch die der Nous sich in die Noumena (das Gedachte) auseinanderlegt, geschieht in der Differenz von Denkendem und Gedachtem. Da der Nous sein Wesen sich gegenüber hat, so ist er bereits immer schon aus dem Inneren herausgetreten. Deshalb muß er sich auf das je schon außer ihm befindliche Selbst der unterschiedslosen Einheit richtend, sich selbst im Da halten, anders als das einsame schlechthin einigende Selbst des Einen. Der Nous bedarf der Anschauung, in der er sich selbst da hat, -genauer: der Bewegtheit, durch die er das Innere, aus dem er je schon herausgetreten ist, in die Anschauung bringt. Das Noein (das Denken) ist Ausdruck der seinsmäßigen Defizienz des Nous.” (Volkmann-Schluck)
Diese konstitutive Mangelhaftigkeit  des Vielen wird von Plotin im Folgenden näher beschrieben:
“Alles Viele aber und Nichteine ist bedürftig, da es aus vielem geworden ist. Es bedarf also sein Wesen des Einen, um Eines zu sein; Jenes aber bedarf seiner selbst nicht; denn es ist es selbst. Was ferner Vieles ist, das bedarf so vieler Dinge, als es ist, und da jedes dieser Dinge mit den anderen in ihm verbunden ist und nicht auf sich selbst steht, weil es der anderen bedarf, so ist ein derartiges Wesen sowohl im Einzelnen wie auch im Ganzen bedürftig. ” VI 9. Kapitel 6
Nach Volkmann Schluck besteht somit eine doppelte Defizienz des Vielen:
1. Das Viele bedarf, um als das zu existieren, was es ist, der Anwesenheit seiner Bestandteile, damit es die Einheit eines Soviel ist.
2. Jeder dieser Bestandteile hat kein unabhängiges Bestehen, es koexistieren nicht einfach die Bestandteile, sondern jeder von ihnen ist auf das Mitdasein aller anderen angewiesen und hat nur in dem Ganzen sein Bestehen. Das Viele muß, wenn es nicht durch einen Auseinanderfall in ein gleichgültiges Nebeneinander beziehungsloser Teile sein Bestehen als Einheit verlieren soll, die Vielheit einigen, d.h. auf Einheit gerichtet sein.