Wahrhafte Gegenwart

Yirmiyahu Yovel: “Spinoza setzt voraus, daß Kultur, Sprache, Sitten und Mentalitäten sich wandeln und entwickeln und dabei ihre entzifferbaren Spuren hinterlassen; und sie münden in der Gegenwart, wo sie uns eine Tradition vermitteln, innerhalb derer eine neue Revolution stattfinden kann. Darüber hinaus versucht Spinoza aus der Bibel den Kern einer quasi rationalen Moral zu entnehmen als Grundlage jener allgemeinen Religion, die er für die Massen bestimmt hat. Das impliziert, daß er Tradition zum Mittel für historischen Fortschritt uminterpretiert. Vergangenheit und Gegenwart sind durch eine Revolution voneinander getrennt, aber auch durch ein hermeneutisches Unternehmen miteinander verbunden.”

Ich assoziiere hier die Intentionen, das Verbindende einer Philosophia Perennis über Kulturen und Zeiten:

“Der US-amerikanische Autor Ken Wilber hat ‘die sieben wichtigsten Übereinstimmungen der immerwährenden Philosophie aller Zeiten, der allermeisten Kulturen, spirituellen Lehren, Philosophen und Länder’, folgendermaßen zusammengefasst:

  1. Der spirituelle GEIST (Gott, die höchste Wirklichkeit, die absolute Seinsheit, die Quelle, das Eine, Brahman, Dharmakaya, Kether, Dao, […]” (usw.)
  2. GEIST muss innen gesucht werden.
  3. Die meisten von uns erkennen diesen GEIST nicht, weil sie in einer Welt der Sünde, Trennung und Dualität leben, in einem Zustand der Gefallenheit und Illusion.
  4. Es gibt einen Ausweg aus Sünde und Illusion, einen Pfad zur Befreiung.
  5. Wenn wir diesem Pfad bis ans Ende folgen, finden wir Wiedergeburt oder Erleuchtung, eine direkte Erfahrung des inneren GEISTES, eine letzte Befreiung.
  6. Diese letzte Befreiung bedeutet das Ende von Sünde und Leiden.
  7. Sie mündet in mitfühlendes und erbarmendes Handeln für alle Lebewesen.” (Wikipedia)

Insofern nun Religion auf dies verweist, bildet sie zeitlose Wahrheit ab. Es ist hier hinzuzufügen, daß eine transzendente Empirie zur Aufnahme dieser Grundlegungen von Beginn existierte und die Religionen kultur-und zeitbedingte Übersetzungen meinen, die aber zum Hinderungsgrund des Transzendenten werden, so sie – wie die meisten theistischen Systeme – den Mensch zu einem personalen Gott in eine Subjekt-Objekt-Relation rücken und damit der spirituellen Teilhabe am einen Prinzip entheben. Wilber subsumiert auch jene unter einer Philosophia Perennis. Dies ist zu kritisieren, denn reduziere diese auf einen etwaigen verborgenen mystischen Unterstrom, bleibt von ihnen zuletzt nichts außer einer Grundintention, für die es keinerlei Überbau (mehr) bedarf, der sie jedoch in ihrer Hauptsache ausmacht und rechtfertigt. Sind aber Tradition, Ritus und Symbol bezuglos geworden, stehen sie nicht mehr im Geist, sie sind wie Netze, die man einst ins Wasser warf, das aber längst abgeflossen ist, so daß sie im Trockenen liegen und nichts einzufangen vermögen.
Die Institution, da sie sich nicht sucht und entwickelt, sondern an ein entrücktes Ens delegiert und sich in entstellender Kolportage ergeht, ist ganz unproduktiv und somit ungeistig. Sie steht außerhalb des Telos zur Aufwärtsentwicklung. Die Zeitlosigkeit, auf die sie rekurrieren will, kann sie in ihrer Verhaftung nicht abbilden. Das hermeneutische Unternehmen braucht die Theismen nicht mehr, so es erkennt, daß Auslegung an verlorene Intentionen ganz hintansteht hinter zukunftsweisender spiritueller Gegenwart und Teilhabe.