Yirmiyahu Yovel: “Für Kant ist Geschichte der Prozeß, durch den die Vernunft ihre latenten Kräfte ans Licht bringt und sich allmählich aus der Umhüllung der Sinnlichkeit befreit und die objektive Welt nach ihrem Bilde formt. Eine solche Auffassung von Geschichte ist nicht bloß evolutionär, sondern teleologisch. Geschichte ist nicht einfach ein Übergang von einem Zustand in den anderen; sie verwirklicht ein zugrundeliegendes menschliches Potential oder das Wesen des Menschen: Vernunft und Autonomie. Vernunft hat sich von alters her unter dem Deckmantel von Mythos und Ritual der verschiedensten geschichtlichen Religionen manifestiert. Sie alle sind Stadien in einem alles umfassenden Prozeß und sollten benutzt werden, ihn voranzutreiben. Daher muß man von der Bibel und von den geschichtlichen Religionen ausgehen, sie jedoch aus ihrer Sinnlichkeit, das heißt aus ihrer wörtlichen Form, herausführen.”
Man kann in diesem Zusammenhang also auch bei Kant (oder generell für den deutschen Idealismus) von der Annahme einer Teleologie des Seins und Bewußtseins und so einer globalen oder universalen spirituellen Entwicklung (im Sinne einer Rück-Emanation zum Ursprung) sprechen.
Wörtliche Form und Ritual als vermittelnde Funktion der Religion ist aber bald schon nur schwacher Ersatz für eine Ursächlichkeit als einer Erfahrung des Transzendenten, also eines lebensreellen spirituellen oder geistigen Seins geworden. Dies Transzendente aber wurde ursächlich in schamanischen Gesellschaften noch lange vor den Hochreligionen zum Konkretum; das Sakrament war dort noch kein Platzhalter oder Symbol oder noch schlechterdings – andauerndes theologischen Streitobjekt. Die praktische Entfernung institutionalisierter Religion von einer Gabe des Entheogens zur spirituellen Teilhabe für die Vielen kann gar nicht größer sein, die transzendente Empirie der Gemeinschaft nicht ferner gedacht werden.
Dabei steht die ursächliche religiöse Erfahrung zugleich in der Problematik der zeitenabhängigen Integration. Vernunft soll sie zuletzt durchwirken und in den Kontext der zukünftigen Bestimmung und des Fortschritts stellen. Dies meint nicht weniger als das Menschheitstelos überhaupt! An dieser Stelle: Was Kant geistig deduziert, ist in der Unmittelbarkeit spiritueller Erhebung andererseits schon immer lebenspraktisch vorhanden. Der Mythos aber, als Symbol oder Chiffre eines nun bis zur Unkenntlichkeit Entwundenen, er darf den Blick nicht zu weit nach hinten fesseln um nicht zum Selbstzweck zu werden, denn dann ist er lediglich Hinderung zum Vollzug. Die Aussagen der Theismen sind eben meist nicht brauchbar überzeitlich, sondern sie treffen und vermischen Aussagen über das Überzeitliche aus ihrer zeitlichen Verhaftung heraus und schauen so in die falsche Richtung. Und je mehr Zeit, Sinn und Ursächlichkeit also vergeht, desto größer die Entstellung und die Entfernung von aller geistigen (Spirit) Intention.