Meister Eckhart, Rezeptionsgeschichte

Meister Eckhart ist geistesgeschichtlich von solch herausragender Wichtigkeit,weil er prinzipiell -aus exponierter Position- der Einzige bleibt, der die antike platonische idealistische Tradition über die konstantinische Repression und die Finsternis des scholastischen Mittelalters hinausträgt, eine Scholastik, die die Philosophie verstümmelt und  lediglich als Propädeutik zu ihren (ursächlich machtpolitisch inspirierten) geoffenbarten Wahrheiten zuläßt. Er wird so zum Fackelträger besagter großen europäischen Geisteslinie  und rettet diese Flamme, bis sie  vom Deutschen Idealismus -“offiziell”- wieder aufgenommen werden kann. Darüber hinaus ist seine Rezeption -wenn auch im Unterstrom-Inspiration für entsprechende  idealistische, gnostizistische und esoterische  Strömungen. Diese sind bis heute-was als Werk des Theismus wie des Materialismus zu verstehen ist-im Westen exotisch geblieben. Auch auf die antiklerikalen und antihierarchischen  Intentionen  -gerade des 20.Jahrhunderts – zeigt er wegen seines (radikalen)Proklamats von umfassender Autarkie und totaler Transzendenz jedweder  Hierarchisierun gsbestrebung  – dies auch eine Konsequenz der  Adaption der platonischen urmystischen Prämisse – deutliche Wirkung. Die Konvergenz mit östlichen (verbreiteten)  Systemen ist hingegen selbstverständlich, für diese aber -da aus sich selbst heraus kräftig genug- lediglich Bestätigung der  Universalität ihrer Grundintentionen, bei genauerem Hinsehen dabei aber auch  Hinweis auf ihre eigentliche Quelle (die europäisch bzw. persisch) ist.

“Wörterbuch der Mystik” (Kröner-Verlag):
(Dinzelbacher, Fröschle): “Eckehart treibt die klasische Ähnlichkeit-Unähnlichkeitsbeziehung ( hier ist im Kontext der neuplatonische Traditionszusammenhang bei Augustinus, Origines usw. gmeint) in ein bisher unbekanntes Extrem.
Alles wird auf den bloßen Umschlag in die ONTOLOGISCHE EINHEIT MIT GOTT verkürzt. Eine solche Theologie läßt sich nicht mehr mit den traditionellen Vorstellungen von Mystik und Unio fassen.”
“So vermischen sich Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis und heben die SUBJEKT-OBJEKT KATEGORIEN auf…”Daz ouge, da inne ich got sihe, daz ist daz selbe ouge, da inne mich got sihet.”

Zur Rezeptionsgeschichte

Rezeptiongeschichte bis zum 19. Jahrhundert (Gerhard Wehr)
“Freilich war es dem Eckhartschen Schriftum bestimmt, für länger als ein halbes Jahrtausend in den Katakomben der klösterlichen Bibliotheken und Archive zu verschwinden.
Während die Schüler Heinrich Seuse, (Seuse und Tauler sind aber in ihrem Gedankengang weniger radikal als Eckehart) vor allem aber Johannes Tauler viel genannt und viel gelesen wurden, überging man den Meister.”
Die Ausnahme: Nikolaus von Kues (Inspiration durch “magister Eckhardus”, durch Forschung bestätigte Beinflussung über zwei Jahrzehnte). Cusanus wirkt auf Giordano Bruno und Leibnitz.
“Der weitere, an Eckhart orientierte Fortgang mystischer Frömmigkeit hat sich in der Folgezeit als eine verborgene Unterströmung entwickelt. Gert Groote, Thomas a Kempis, Kartäuser. Dann vesickern die Rinnsale eckhartisch.dominikanischer Mystik, um sich..im Untergrund der Geschichte zu sammeln und von neuem wirkungsvoll an die Oberfläche zu treten. Daß Eckehartscher Geist in Untergründen da ist, zeigen beispielsweise Vertreter eines reformatorischen-nachreformatorischen Spiritualismus. (allerdings nur indirekt über Tauler). ”
“Eckharts Gedankengut beginnt schließlich immer wieder dort einzusickern, wo mystische Frömmigkeit im Protestantismus auflebt, etwa bei Valentin Weigel, Jakob Böhme und in dessen Umkreis, wo lutherische Frömmigkeit, paracelsisch -pansophische Naturschau, kabbalistische (Ergänzung von mir : also in guten Teilen pythagoreische und neuplatonische) und christliche Mystik zur Schmelze kommen”.
Rezeptiongeschichte ab dem 19. Jahrhundert bis heute (vorweg: eine ernsthafte/nennenswerte innerkirchliche Rezeption findet -bis heute- nicht statt):
“Seine eigentliche Auferstehung und Wiederentdeckung sollte Eckhart erst im frühen 19.Jahrhundert, im Zeitalter des deutschen Idealismus und vor allem der Romantik erleben. Diese Wiederentdeckung verbindet sich vor allem mit den Namen von Franz von Baader, sodann von J.G.Fichte, G.W.F. Hegel, Karl Rosenkranz, Joseph Görres; Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche, die sich gelegentlich auf den Dominikaner berufen, kommen später hinzu.
Mit großer Überraschung glaubte man wahrnehmen zu können, daß zwischen der…Deutschen Mystik und der indischen Philosophie innere Gemeinsamkeiten bestehen ” (Wehr)
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts dann die Betonung des Deutschen: (J.Bach: “Meister Eckehart ist Meister der deutschen Spekulation.” W.Preger: “Die mystische Theologie in Deutschland bricht wie den Bann der scholastischen Formen so auch den der lateinischen Sprache.”

20. Jahrhundert
Rosenberg -“Schöpfer einer neuen völkischen Religion”
Landauer -“Kühner Erschütterer”
Musil-Mann ohne Eigenschaften -Inspiriert durch Eckehart-Zitate-“Ein Mann ohne Eigenschaften wäre demnach einer, der die Unmittelbarkeit der Gottesbeziehung um der Unio Mystica willen erlebt.” (Wehr)
Buber-“..wie ein Diamant nur unter ungeheuerstem Druck so einfach, so strahlend herausjkristallisiert.”
C.G. Jung-” …weltumspannender Geist, dieser wisse ohne Wissen um die indische Urerfahrung so gut wie um die gnostische und ist selbst die schönste Blüte am Baume des liber spiritus, der den Anfang des 14. Jahrhunderts kennzeichnet.”
E. Bloch – “Hauptvertreter der antifeudalen und oppostionellen deutschen Mystik”
Marcuse: “Der stärkste Kopf, der energischste, radikalste Denker unter den Mystikern, der, welcher das zu Verschweigende am eindringlichsten bewußt gemacht hat, war Meister Eckehart. Lange bevor die Entmythologisierung erfunden wurde, war er der radikalste Entmythologisierer. Eckehart war die Aufklärung – ohne Verklärung. Er war in der Tat viel gefährlicher als später Luther, als die Entlarvung des Priester-Betrugs im achtzehnten Jahrhundert, als der harmlose Atheist des zwanzigsten.”
Der schwedische Erzbischof Söderblom (1931)
“Der Bettelmönch Indiens strebt nach dem selben Zustand wie der große deutsche Mystiker.”
Ernst Benz, der als Eckhart-Herausgeber und als Kenner der Deutscher Mystik ausgewiesen ist..kommt auf die Wahlverwandschaft zwischen Zen und Meister Eckehart zu sprechen. Er vermutet eine Konvergenz zwischen dem Transzendenzerlebnis Eckharts und der charakteristischen Transzendenz-Erfahrung von Zen.” (Wehr) .
Erich Fromm: “Eckhart und der Buddhismus sind in Wirklichkeit nur zwei Dialekte der gleichen Sprache.”
Bernhard Welte, Professor für christliche Religionsphilosophie sieht bezüglich Eckehart und Zen “drei untereinander zusammenhängende Angelpunkte: Die Versenkung in wesenloses Sein, verbunden mit der Überwindung aller Metaphysik; sodann die Analogie zum ungeschaffenen Licht im Grunde der Seele; schließlich die Schau des Höchsten, Geheimnisvollsten in den alltäglichsten Dingen; übrigens eine Sichtweise, die ihrerseits eine interessante religionsgeschichtliche Parallele im Chassidismus mit ihrer Einheiligung alles Profanen darstellt. So gesehen darf man sagen, daß an zwei (bzw.drei) weit auseinander liegenden Punkten der Erde und der Geschichte der Menschen ganz unabhängig voneinander weitgehend analoge Strukturen des Denkens und des Erfahrens an den Tag getreten sind. ”
Gerhard Wehr: “Man darf annehmen, daß in beiden Fällen eine Strukturganzheit erscheint, die nicht irgendeiner Willkür des Denkens entspringt, die vielmehr vorgebildet ist in den Grundverhältnissen, in denen der Mensch und das Denken des Menschen sich immer schon finden.”

Rezeption im Osten
Die Eckehart -Rezeption muß im Osten relativ spärlich ausfallen. Anders als der Westen verfügt der Osten über eine ununterbrochene, traditionsreiche und ausdifferenzierte Mystagogik. Warum sollte er daher den Westen bemühen? (Oder wie Schopenhauer in einem größeren Kontext völlig zu Recht bemerkte: “Das Christentum in Indien einführen zu wollen, ist so vergeblich, als eine Kugel gegen einen Felsen abzuschießen.”
Der indische Religionswissenschaftler S. Radhakrishnan:
“Es gibt Grund genug, daß das mystische Element im Westen als indischer Beitrag anzusehen ist.”
Daisetz Teitaro Suzuki (Zenmeister )-“So verband sich nun in der Gegenbewegung von Ost nach West -zenistische Spiritualität mit Eckhartscher Mystik, vor allem wo beide vom reinen Nichts( sunyata) sprechen.”
“Immer wenn ich auf solche Übereinstimmungen stoße, wächst meine Überzeugung, daß die christlichen religiösen Erfahrungen im Grunde von den buddhistischen nicht unterscheiden. Alles was uns trennt, ist die Terminologie.”
“…so weiß ich doch: die darin geäußerten Gedanken waren buddhistischen Vorstellungen so nahe, daß man sie fast mit Bestimmtheit als Ausfluß buddhistischer Spekulation hätte bezeichnen können.”
Kitaro Nishida, japanischer Religionsphilosoph: ” Der wahre Gott entspricht nicht der üblichen Idee von Gott, sondern ist vielmehr die Gottheit, von der die Mystiker im Westen sprechen.”
Meister Eckhart: “Ein jeder behalte seine gute Weise und beziehe alle anderen Weisen darin ein und ergreife in seiner Weise alles Gute und alle Weisen…Denn Gott hat der Menschen Heil nicht an irgendeine besondere Weise gebunden.”
Meister Eckhart: “Willst du den Kern haben, mußt du die Schale zerbrechen.”