Erwin Schrödinger und Religion

“Jahrhundertelang von der Kirche in der schändlichsten Weise geknechtet, haben die Naturwissenschaften ihr Haupt erhoben und im Bewußtsein ihres heiligen Rechts, ihrer göttlichen Sendung wuchtige, haßerfüllte Hiebe gegen ihre alte Peinigerin geführt, nicht achtend, daß diese -wenn auch unzulängliche, ja pflichtvergessene- dennoch die einzige bestellte Hüterin des heiligsten Gutes der Väter war. Langsam und unbemerkt fast verglomm der Funke uralter indischer Weisheit, den der wunderbare Rabi am Jordan zu neuer Glut entfacht und der uns durch die finstere Nacht des Mittelalters geleuchtet hatte, verblich der Schein der wiedergeborenen Griechensonne, an der die Früchte, die wir heute genießen, gereift waren. Das Volk weiß nichts mehr von all dem.” Dieses meines Erachtens sehr zentrale  Zitat von Erwin Schrödinger birgt auf kürzestem Platz gleichsam einen ganzen Abriß der Kirchengeschichte. Auch wenn die Deutung Jesu als Weiser indischer Tradition  einige Fragwürdigkeit aufweist, betont Schrödinger hier doch -fast  erstaunlicherweise – , daß die ursächliche Intention des Christentums eine gnostische ist und somit  einem auch den  östlichen Systemen inhärenten allgemeinen esoterischen Grundstrom und Urgedanken zugehört. Sehr richtig seine  Deutung des Mittelalters als Phase der Agnosie (bzw. als Phase der Überwindung der Agnosie) und ebenso seine Klage über das spirituelle Vakuum der Jetzt-Zeit.
Und  was  empfiehlt nun Schrödinger als Ausweg aus diesem Dilemma?  Er empfiehlt den  indischen Upanishad, dem er sich  nach seinem philosophischen Vermächtnis  – gerade auch in Konvergenz mit seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen- tief verbunden weiß. Vor allem zwei Prämissen des indischen Denkens sind es, die Schrödinger von seinem Erkenntnisstand als Quantenphysiker ansprechen müssen: Die Welt der Erscheinung im platonischen Sinne als Konstrukt des Beobachters, somit als Schein, als Abglanz, sowie die All-Verbundenheit aller (nur scheinbar isolierten) Verkörperung.  Schrödinger  spricht hier  von “einem grundsätzlichen Aufgeben des Begriffes der Außenwelt” und sagt ebenso: “Bewußtsein gibt es seiner Natur nach nur in der Einzahl. Ich möchte sagen: die Gesamtzahl aller »Bewusstheiten« ist immer bloß »eins«.”Die Abgabe aller Transzendenz auf dem Gebiet des Erkennens ist ihm dabei ein auf Dauer nicht haltbarer Weg. Dies lehrt ihn gerade seine Wissenschaft.