Mythos und Hypostase

Don Juan Matus: “Wenn ich Welt sage, so meine ich damit alles, was uns umgibt. Ich weiß natürlich ein besseres Wort, aber es wäre dir völlig unverständlich. Die Seher sagen, nur das Bewußtsein ist der Grund, warum wir annehmen, dort draußen sei eine Welt von Gegenständen. In Wirklichkeit sind dort draußen die Emanationen des Adlers – fließend, stets in Bewegung, doch unwandelbar, ewig.”

“Für die alten Seher war die Feststellung, daß der Grund der Existenz die Erweiterung des Bewußtseins ist, keine Frage des Glaubens oder der Logik. Sie sahen es.
Sie sahen, daß das Bewußtsein der lebenden Wesen im Augenblick des Todes davonschwebt und wie ein leuchtender Wattebausch direkt in den Schnabel des Adlers fliegt, um verschlungen zu werden. Für die alten Seher war es der Beweis dafür, daß die lebenden Wesen nur leben, um dieses Bewußtsein zu bereichern, das die Nahrung des Adlers ist.”

An dieser Stelle möchte ich ergänzen, daß meiner Überzeugung nach die Philosophien, die sich auf idealistische Grundlegungen beziehen, nicht gedanklich deduziert sind – oder zumindest sind sie dies nicht in erster Linie oder originärer Art – freilich ließen sich entsprechende Sätze oder Konklusionen qua Deduktion folgern – doch sind sie zuerst ein Ding der Empirie, sie sind ein sprachlicher Widerhall einer Erlebnis- oder Seinsebene, die unter verändertem Bewußtsein gesehen und gewonnen wurde.

Matus: “Im entscheidenden Augenblick, wenn es einfach darum geht, daß die Emanationen sich bemerkbar machen, fühlt sich das Bewußtsein des Menschen gezwungen, diesen Vorgang zu interpretieren. Das Ergebnis ist ein Bild des Adlers und der Emanationen des Adlers. Aber es gibt keinen Adler und keine Emanationen des Adlers. Was es dort draußen gibt, ist etwas, das kein Lebender begreifen kann.”

Letztlich handelt es sich hier um eine mythische Einkleidung einer Hypostasierung der Seinsbereiche, wie wir sie auch aus dem Neuplatonismus kennen. Der Adler meint das andere, das Höchste, das unbegreifbare Prinzip, die Emanation hingegen ist das Unverstandene, welches außerhalb der Welt-Wahrnehmung liegt und Potenzen bereithält für endlose andere mögliche Welten (sowie für Abstufungen innerhalb einer Welt, die gleichen Grundprinzipien folgt). Der Neuplatonismus nennt dies Unverstandene den Nous.