Aus dem Yogaleitfaden des Patanjali:
“Und die subtile Gegenständlichkeit endet im Merkmallosen.”
Und hierzu ein Kommentar:
“Es mag befremdlich erscheinen, daß Gegenständlichkeit subtil sein kann, da man dabei an konkrete Dinge denkt. Die Tatsache, daß jeder Gegenstand subtil ist – weil ihn Subtilität genauso konstituiert wie Grobheit – , sollte man somit nicht vernachlässigen, denn mit zunehmender Subtilität lösen sich die Dinge auf.”
Zur weiteren Klärung ziehe man hierzu die Etymologie des Wortes “subtil” heran:
“Das Adjektiv subtil bedeutet generell meist ‘kaum wahrnehmbar’ (bezogen auf Konkretes) oder ‘kaum zu erfassen’ (bezogen auf Abstraktes).
– ‘fein’, ‘zart angedeutet’
– ‘unterschwellig’
– ‘fein strukturiert’, ‘kompliziert’
die Herkunft des Begriffs findet sich im lateinischen subtexlis (fein unter anderes gewebt).”
Die erste Bedeutung – “kaum zu erfassen” – gibt hier schon Hinweis auf ein (sensorisch) Komplexeres oder Übergeordnetes. Gegenständlichkeit findet statt als Fortsetzung eines Ursprunges, der offenbar mit dem Anschauen allein nicht genügend abgebildet ist. (Man denke hier nur an die molekularen und atomaren, gar subatomaren Strukturen der Objekte). Das “fein Strukturierte” und “Komplizierte” übersteigt die normale Ansicht, denn es muß so angenommen werden, daß auch das Einfachste eine ihr verschlossene komplexe Unterlegung und Herleitung hat. Diese ist dem Hiesigen (dem Sehen) also unsichtbar, doch ist sie ihm zugleich immanent und überschreitet in der gesamt-perzeptiven Verortung zuvorderst undurchlässige (Wahrnehmungs-) Sphären. Die Perzeption in ihrer Defizienz grenzt so die Sphären zueinander ab, daher auch kommt der Ausdruck der Subtilität weniger auf optischem Wege als durch ein Ahnen und Spüren ins Bewußtsein, in Gang gesetzt durch tiefere Andeutungen. Die Eigenschaft des Objektes korreliert insofern mit dem Denken, als es – wie auch dieses – nicht an einen offensichtlichen Fix- und Endpunkt gebunden ist (zuletzt sind Denkinhalte wie Objekte in gewisser Wese volatil zu nennen). Genauer besehen muß dies nicht wundern, denn (neu)platonisch besehen ist es die Seele selbst, die in ihrer eigenen subtilen Grundlegung subtile Seinsprämissen bereitstellt: Dieses “fein unter anderes gewebt” -Sein bezeichnet zuletzt nicht weniger als die Strukturgebung der schaffenden Weltseele selbst, durch die schließlich “alles lebt und webt” (Otto Apelt), und daher weiß sie auch in ihrer Tiefe, daß das Anschauliche ihren eigenen Intentionen einer dem offenbaren Ich uneinsehbaren Grundierung entspringen mag. In der Übersteigung der Physiologie der Wahrnehmung wird diese feine Struktur indes selber sichtbar. Und wird auch diese schließlich durchleuchtet bis zu ihrem Grund, daß sich dieser zuletzt nur ‘Konzept’ nennen mag, so wird es zuletzt als geistiges, geisthaftes Konstrukt erkannt und geht ein in die Abstraktion der Seelenintentionen, die sich gar nicht mehr zur Darlegung orientieren. Erst dann wird aus der Gegenständlichkeit das “Merkmallose”.
Die gesteigerte, dem Subtilen zugängliche Wahrnehmung ist Hinweis, daß im Perzipienten ein Weg zu den bildnerischen (bzw. zu den entbildlichenden) Kräften eröffnet ist.
In der Bhagavadgita ist es das Verstehen, das in die Sinne leuchtet. Man sehe diese Wortwahl als Reminiszenz an die Wahrnehmung subtiler, energetischer Aspekte und deren Potential zur Klärung der Seinsbedingungen.