Der hinduistische Stufenweg zum Heil

Der Stufenweg zum Heil (nach H. Glasenapp)

Die Wesen sind physisch, intellektuell und moralisch unvollkommen und der leidvollen Vergänglichkeit unterworfen, weil sie mit Körpern und Organen behaftet sind; ihre Verkörperung ist die notwendige Folge der Taten (karma) ihrer früheren Existenzen; das Karma ist durch die Begierden (kama) und Leidenschaften verursacht, denen sie sich hingaben: daß die Triebe über sie ihre Macht ausüben konnten, hat aber seinen Grund in dem Nichtwissen, das heißt in der mangelnden Einsicht in das Wesen von Welt und Überwelt.
Der Heilsucher muss bestrebt sein, alles Böse zu meiden und alles Gute zu vollbringen, um so im Verlaufe zahlreicher Existenzen die moralischen Qualitäten zu erwerben, die ihn für das Beschreiten des eigentlichen Heilspfades geeignet machen
Als praktische Hilfsmittel zur vollständigen Beherrschung der Triebe wird ein asketischer Lebenswandel bzw. Abkehr von der Welt empfohlen.
Während die meisten Systeme in den Leidenschaften Realitäten sehen, die aufgehoben werden müssen, um den Weg zum Heil frei zu machen, betrachten manche hinduistischen Tantriker sie als unvollkommene Ausdrucksformen der großen, universalen Kräfte, die auch dem Heilsprozeß zugrunde liegen.
Das Nichtwissen ist die angeborene Unkenntnis der Heilswahrheiten, es ist die Ursache davon, daß sich der Mensch seiner wahren Natur und seiner tatsächlichen Stellung innerhalb des Weltgefüges nicht bewußt ist und deshalb vergänglichen Phänomenen nachjagt, statt sein Denken auf das Unvergängliche zu richten.
Eine Selbsterlösung lehren der Jainismus, der Buddhismus, manche Vedanta Schulen sowie die übrigen klassischen Philosophien.
Im Ganzen gesehen sind die Vorstellungen der Inder von dem Zustand des Erlösten von außerordentlicher Mannigfaltigkeit und Gegensätzlichkeit. Für die einen ist es ein verklärtes irdisches Dasein ohne Leid und böse Triebe, für die anderen eine geistige Existenz, die alles aus sich selbst schöpft, für die einen ein seliges Verschmelzen mit dem Göttlichen, für andere das ewige zur Ruhe kommen, bei dem auch nicht der geringste Rest von dem erhalten bleibt, was einst eine Persönlichkeit bildete.
Sein philosophischer Tiefblick hat den Inder seit langem von der Illusion befreit, daß das wahre Glück von außen an die Menschheit herangebracht werden könnte und ihn davon überzeugt, daß es nur von dem einzelnen im Wege geistiger Verinnerlichung gewonnen werden kann.