Variantes Urbild

“Doch legt der Begriff ‘Urbild’ bereits etwas inhaltlich Bestimmtes näher als der Begriff ‘Archetypus’, der einen dem Wesen nach unbewußten und darum unerkennbaren Inhalt, einen formativen Faktor oder ein Strukturelement darstellt. Nur als ein Strukturelement, als ein anordnender Faktor im Unbewußten, vererbt sich der Archetypus, während das von ihm ‘angeordnete’ und vom Bewußtsein wahrgenommene Bild als subjektive Variante in jedem Leben immer wieder neu entsteht.”
Der Hintergrund hierzu läßt sich neuplatonisch wie folgt definieren: Die logoi, rationale Strukturen in der Seele, betrachten die Ideen, diese sind von Unexpliziertheit (im Sinne einer Nicht-Bildhaftigkeit) und in ihrer Bildwerdung abhängig vom Stand des Bildgebers.

Plotin: “Wenn nun die Seele jenem Logos zu eigen geworden ist und in eine entsprechende Verfassung gebracht ist, dann holt sie es hervor und nimmt sie ( zu Händen; denn was sie primär besitzt, das will sie auch kennen lernen, und durch dieses zu Händen nehmen wird sie gleichsam verschieden zu ihr selbst, und es diskursiv denkend sieht sie es als ein Anderes … sie ist nicht erfüllt, sondern sie hat Mangel gegenüber dem vor ihr; jedoch sieht auch sie in Ruhe, was sie hervorholt. Denn was sie einmal hervorgeholt hat, das holt sie nicht mehr hervor, was sie aber hervorholt, das holt sie aus Mangel zur Überprüfung hervor, um kennen zu lernen, was sie besitzt.”

Es geht hier um ein Foranschreiten (das freilich das Erinnern dessen bezeichnet, was die Seele einst inne hatte). Gemeint ist der Inhalt des Nous, der über ihr steht und sie in der Rückschau auf sich selbst gebiert. Insofern sind die Archetypen gemäß dem Entwicklungsstand formhaft variant, die Bildlichung der Urformen sind wohl dem ähnlich, was die Seele an Erinnerung besitzt, und je mehr sie erinnert, desto umfangreicher (und auf der Zeitachse auch entwickelter bzw. futuristischer) muß wohl auch ihre Form anmuten, bis sie schlußendlich aber zum Ziel der ‘Entformung’ kommt, da Ursprung und Auflösung der Bilder schließlich das selbe meint (insofern passt hier das Diktum vom Alpha und Omega). Der Fundus der archaischen Bilder des kollektiven Unbewußten erfährt also in der Progression (der Rückemanation) Ergänzung des Bildes gemäß der Befähigung, die eben zur Beschreibung hierzu zur Verfügung steht.