Grund der Sozietät

Für die Zivilisation der Maya:
“Nirgends sonst befasste man sich so obsessiv mit der Berechnung der Himmelszyklen, um auf diese Weise Kontrolle über die parallelen mikrokosmischen Vorgänge zu gewinnen. Während dies in Richtung einer Ontologie nach dem Schema des Analogismus deutet, begegnet man zugleich der animistischen Überzeugung, daß sowohl die natürliche Landschaft als auch die von Menschen erichteten Bauwerke belebt waren, erfüllt und durchdrungen von einer vitalen Kraft (k’uh), die bisweilen als unpersönlich gedacht wurde, aber auch als ‘Seele’ oder ‘Geist’ vorgestellt werden konnte, wenngleich unter den Letzteren keine fest umrissenen singulären Wesen verstanden wurden, sondern ein Ensemble multipler, verstreuter Teile oder Ko-Essenzen. Durch die Bezugnahme auf diese numinose Kraft wurde die Welt zu einem ontologischen Kontinuum, in dem es keine Trennung zwischen ‘natürlichen’ und ‘übernatürlichen’ Erscheinungen gab.
Zugleich wurde der Monismus jedoch dadurch relativiert bzw. spezifiziert, daß k’uh mit den Dingen keine dauerhafte Bindung einging und das Universum auch nicht gleichmäßig durchdrang. Was die Menschen betraf, so manifestierte sie sich nur in Königen und Königinnen sowie einer kleinen Gruppe von Adligen.” (Stefan Breuer)

Sei es in der Rede von der Seele als “Ensemble multipler, verstreuter Teile oder Ko-Essenzen” oder in der Ansicht vom “ontologischen Kontinuum”: Diese Konzeption korreliert (u.a.) stark mit der Vorstellung im Neuplatonismus. Dies ist kein Zufall, denn alle um Durchdringung bemühte Anschauung führt sich zuletzt auf die verwandte religiöse Urerfahrung zurück, die mit einer sensorischen Modifikation handelt und hierin nicht weniger als auf eine eine ontische (intersubjektive) Empirie verweisen kann.

Durch die Institutionalisierung dieses ursächlich Gewußten, aber lebenspraktisch Verborgenen, kommt es zur Entfernung und Übersetzung. Die Möglichkeit der Gewahrwerdung indes ist zwar durch Inkarnation determiniert, aber sie vollzieht sich nicht in erblicher Hierarchie, nicht über familäre Blutlinien (dies zumindest nicht per se, da hierfür eine metaphysische Verwandschaft als Vorbedingung zur Weltlichung in einer Familie vorauszusetzen ist), sondern weiter gefaßt erstreckt sie sich zur Gruppe (Sozietät), die durch geographische und zeitliche Determinanten eingerahmt wird und daher auch ein entsprechend kollektives Zugriffsrecht auf das Numinosum, das Sakrament innehält. Dessen Übersetzung wird zwar lebenspraktisch notwendige Bedingung, muss aber explizit immer wieder neu die Verursachung besprechen, authentische Kunde tun und Einbringung in die Lebens- und Vorstellungswelt Aller ermöglichen. Dies gerade durch lebensreelle Zugänge, die aus dem Verborgenen schöpfen können, durch gewährte Freiheit im Innen wie im Außen, etwa durch spirituelle autonome Praktiken, auch durch assoziatives Vorgehen, durch Imagination, künstlerische Betätigung usw.
Plotin: “Die Seelen: Nicht vermöge einer von außen kommenden Grenze ist jede, was sie ist, als ob sie eine bestimmte quantitative Größe hätte, sondern sie ist so groß, wie sie selber sein will, und niemals kann sie, wenn sie vorschreitet, aus sich selber hinausgeraten.”
Eine im Ritual und falscher Hierarchie befangene und entfremdete Gesellschaft hingegen verliert den Bezug zu ihrer Verortung und so (im zweifachen Sinne) den Grund ihres Bestehens.