Das Hinzuerwerben

Plotin: “Wenn nämlich Ewigkeit Leben in Ständigkeit und im Selben und vollendet-unendlich ist, die Zeit aber Bild der Ewigkeit sein soll, gemäß dem Verhältnis dieses Alles zu Jenem, dann muß man statt des Lebens dort ein anderes gleichsam namensgleiches Leben einsetzen, das der hiesigen Kraft der Seele eigen ist, und statt der intelligiblen Bewegung: Bewegung eines Teiles der Seele; statt der Selbigkeit und Unwandelbarkeit und des Verharrenden: das nicht in dem Selben Verharrrende, immer wieder Anderes Tätigende; statt des Abstandlosen und Einen: das durch Zusammenhang Eine als Nachbild des Einen; statt des Vollendet-Unendlichen und Ganzen: das Immer-im- Nacheinander-ins Unendliche; statt des einig Ganzen: das teilweise und immer nur Künftig-Ganze. So nämlich kann es das Vollendet-Ganze und in sich Gesammelte und vollendet Unendliche nachahmen, wenn es, immer im Hinzuerwerben, im Sein sein will; denn (nur) so vermag es das jenseitige Sein nachzuahmen.”

Alles Streben geht nach dem Hinzuerwerben.
Man betrachte nur das Kind, das ohne eigentliche Intention nach Besitz oder Gewinn ist – und doch ist es zutiefst bewegt, wird es beschenkt, denn diese Aneignung gereicht ihm dazu, dem innigsten unbewußten Wunsch und Drang zu entsprechen und seinen Stand zu erweitern, also für sich Möglichkeit und Welt zu erschließen – und dies Prinzip entspricht allertiefster Anlage, ist von Beginn an wirksam, und ihm ist alles menschliche Streben gewidmet, dieser Impetus, der prinzipiell kein Ende kennt, begleitet den Menschen sein gesamtes Leben und repräsentiert – wie wir erfahren – im Urgrund seines Seins nichts anderes als das Streben nach dem Einen, nach der Wiedererlangung der eigentlichen Größe und Abkunft. Zumeist erschöpft sich dies Streben jedoch im Materiellen oder im äußeren Erleben, wird so wegen der Unbewußtheit der Intention zum Surrogat, gerade die Lebenssphäre des rajas (als leidenschaftliches, dynamisches Element) bezeichnet dies, was intentional (noch) nicht in die Lage versetzt ist, von Ursache und Ziel des Strebens zu wissen und daher fortwährend eine ‘bewegte’ Unterlassung des Lebenssinns und -auftrages betreibt. Hierin ist zuletzt alle Rast- (und Rat-) losigkeit und Unerfülltheit des Lebens zu begründen. Eine Sonder-Position im rajas nimmt die Aneignung durch Rausch ein, denn auch er ist Zuerwerb und führt den Mensch zwar in deutlichster Form über sich hinaus, rückbindungslos aber bleibt er nicht viel mehr als ungerichteter Zeitvertreib (im Sinne des Wortes) und mindert den Menschen, indem er ihn in Diskontinuitäten stellt, sein Leben also fragmentiert. Der Mensch muß aber zum Geistigen und Über-Geistigen Zuerwerb kommen, um dabei zum ganzen Sein zu finden und ein homogenes Bild seiner selbst zu erwerben. Der Zuwachs bezieht sich erst auf die Person in ihrer Möglichkeit, und diese vergrößert sich erst zur Erfahrung des Sich-Selbst-Seins, um dann zum höheren Selbst zu gelangen. Materieller Besitz ist dabei- soweit er als Instrumentarium betrachtet wird – nicht schon aus sich verwerflich, denn somit einer Zweckdienlichkeit zum Ziel unterworfen und meint Erweiterung der Möglichkeiten, die auch im Außen umgesetzt werden, gleichsam der Palette eines Malers, die erst eine innere, verborgene Welt seiner Anlage und Phantasie gemäß sichtbar werden läßt und so ins Sein überführt. (In diesem Zusammenhang ist auch der ayurvedische Typus pitta, der auch dem Materiellen zuneigt, nicht einfach einem a-spirituellen Charakter gleichzusetzen.) Kommt aber der Wunsch der Aneignung zum Erliegen oder wird dieser nie in eine Region der Bewußtwerdung über seine eigentliche Intention überführt, erschöpft sich prinzipiell auch aller Lebenssinn.