Yogaleitfaden des Patanjali, Kommentar: “Solange die Wurzel besteht, zeigt sie ihre Wirkung als Art, Lebensspanne, Welterfahrung.
Aus der Wurzel der Triebe reift etwas hervor, das sich in dreifacher Hinsicht zeigt. Erstens als Art: Jati, wörtlich ‘das, als was man geboren ist’ .. Jati wird oft als Kaste übersetzt … Es fügt sich aber besser ins Bild, Jati als Art zu deuten, durchaus in dem Sinn der Fortpflanzungsgemeinschaft, die einen Ordnungsfaktor in der Natur bildet. Zweitens die Lebensdauer ‘Lebenskraft’, ‘Langlebigkeit’, ‘Gesundheit’. Somit wird die ‘Spannkraft’ des Lebens ebenfalls vom Karma bestimmt. Drittens die Erfahrung Bhoga beschreibt Sinnenfreude schlechthin, Essen , Lust, Reichtum. Hauer (1958) übersetzt es sogar mit ‘Weltessen’. Im philosophischen Sinn is Bhoga Lohn für vergangene Taten.
Aus der Taten-Ansammlung resultiert also meine gesamte Lebensrealität, ja Welterfahrung: Daß ich als Mensch mit einer ganz bestimmten Lebenskraft in einem bestimmten Umfeld Erfahrungen mache, ist Folge vergangener Handlungen, die ihrerseits in den triebhaften Plagen wurzeln.”
Als ‘Libido’ (wie etwa Mana, Prana) im erweiterten Sinne: die Lebenskraft zeigt sich zum einen der Verstetigung und Verbesserung (durch Vermehrung) des inkarnierten Standes zugeneigt (dies im Fortpflanzungstrieb, der dann aber erweitert, verallgemeinert, wie symbolhaft und übertragbar werden soll), zum anderen in der (viel höheren) schöpfenden Kraft überhaupt, die gerade den Utilitarismus der Existenzsicherung weit überschreiten muß. Das “Weltessen”, die Teilhabe an der Weltenfülle zeigt sich ganz als Betätigung im Außen, korreliert jedoch etwa mit dem Zustand pitta (für Feuer, Tatendrang, Durchsetzung) im Ayurvedischen und hat hiermit selbstredend auch eine energetisch-spirituelle Implikation. Im der Welt Zugewandten soll jedoch der Wunsch nach Fülle ebenso wie der Wunsch nach (biologischer) Zeugung als unsaturierbar erkannt werden: ihre Ausführungen sind eher exemplarisch und abbildhaft zu deuten, erschließen sich bereits als unzureichend schon in Anbetracht der Endlichkeit der Ergebnisse, wie auch allen Gutes und Besitzes (in diesem Sinne Epikurs respice finem). Der Besitz indes soll sich über den Selbstzweck erheben und zu höherem Nutzen intendiert sein, etwa in der Hilfe für Andere, zur Ästhetisierung des Raumes oder zu Hilfsmitteln, um ein Werk -wie etwa im Sinne Gurdijeffs – voranzubringen (“…die Kraft der Rückbindung. Sie verbindet mit der wirklichen Welt, in der zeitlos immer neue Dinge erschaffen werden.“). Als karmischer Lohn bezeichnet – ist glückliche, aber allein der Welt zugeneigte Lebensfülle zugleich Gefährdung und Versuchung, da sie den karmischen Stand oder Erfolg verspielen kann, so man sich zuletzt in leere undurchdrungene Weltlichkeit verliert. Die Fülle muß besser als Resultat mit einer wachsenden Wunsch-und Intensionslosigkeit einhergehen, sie gehorcht viel weniger einem Wollen und Wünschen als der Notwendigkeit einer dem allgemeinen (höheren) Wachstum nebenhergehenden Erscheinung im Raumzeitlichen.