Des Geistes Raum

“Ich lag also im Zahnarztstuhl und litt. Plötzlich schrumpfte ich in mir selbst zusammen! Gleichzeitig sah ich, wie ich mich aus meinem Körper löste und an die Decke schwebte… Für mich selbst war ich bei vollem Bewußtsein, und ein großes Staunen erfüllte mich: ‘Wie ist das denn möglich? Mich durchströmte ein schönes Gefühl, das mindestens zehnmal schöner als der schönste Traum war: Ich war mächtig. Ich war fähig, mich überall hin zu verbreiten. Ich war das All. ‘ (Nach Günter Ewald)

Wie ist solch eine Aussage möglich? Sie gibt einen Aufschluß über einen (uns prinzipiell) unerhörten Bruch zwischen eigener Weltlichkeit und eigentlicher Existenz. Und wie fast absurd mutet hier der Wechsel zudem aus der alltäglichsten Profanität an, einer Alltagshandlung und unbewußten Haltung zur potentiellen Existenz als solchen, jener urplötzlichen Erhebung zu einem nun ganz und gar kosmischen Sein! Der Austritt aus dem Organum, das sinnhaft alles reduziert, führt nun direkt zum Eigensein, zum hohen Seelesein – plotinisch auch mitunter der erste Mensch genannt. Hier ist es wieder vor allem eine Frage der Physiologie, der Sinneserfahrung, die – zum anderen Beispiel in mystischer Praxis – varianten Charakter annimmt und so variante Weltsicht erlaubt. Man kann auch ausschließend behaupten: Erfahrung, die dieser Mechanik entbehrt, führt gar nicht zur Erhebung, sondern nur zu eingebildeter Innerlichkeit. Und die Seele ist es, die das Organum dem sich so zum Subjekt Reduzierenden anheim gibt und so die Reduktion ins Subjekt selbst evoziert. Sie ist in ihrem vollziehenden Wesen die höhere Instanz, die Welt schafft und ist die Welt zugleich, da Welt ihr Gedanke- ihr Haben des Eidos ist. Der Raum tritt erst aus ihr hervor, ist (unterer) Teil ihres eigentlichen Korpus.

Plotin sagt : “Es wohnt ja die Notwendigkeit im Geiste, die Zustimmung aber in der Seele. Und so sind denn, scheint es, wir Menschen mehr darauf aus, uns Zustimmung abgewinnen zu lassen, als im reinen Geist das Wahre zu schauen. Ja so lange wir droben waren in der Wirklichkeit des Geistes, da hatten wir daran genug und dachten nur, wir zogen alle Dinge ins Eine zusammen und schauten; denn der Geist war es, der dachte und über sich selber aussagte, die Seele dagegen hielt Ruhe und gab dem Wirken des Geistes Raum. Jetzt aber, wo wir hier unten sind, sind wir darauf aus, daß auch in der Seele ihrerseits eine gewisse Zustimmung erwachse, wir möchten das Urbild gleichsam in seinem Nachbilde betrachten. So müssen wir denn wohl unsere Seele unterweisen, wie denn eigentlich der Geist sich selber schaut, und zwar unterweisen dasjenige Organ der Seele, welches in gewissem Sinne geisthaft ist, indem wir es ‘überlegend’ nennen und mit dieser Bezeichnung andeuten, daß es irgendwie Geist ist oder soch sein Vermögen durch den Geist und vom Geist erhält. Dies Organ also der Seele muß zur Erkenntnis gelangen, daß es ja auch seinerseits alles, was es sieht, erkennt und weiß, was es in dieser Erkenntnis aussagt; wäre es nun selber dies, was es da aussagt, so würde es schon auf diese Weise sich selber erkennen; da nun aber diese Dinge, die es aussagt, droben sind oder vielmehr von droben zu ihm kommen, und das heißt von eben daher, woher es auch selber gekommen ist, so wird auch ihm auf diesem Weg zuteil, sich selber zu erkennen, da es vernunfthaft ist und somit die Dinge, die zu ihm kommen, ihm verwandt sind und es sie den Spuren des Oberen, die es selber in sich trägt, anpassen kann.” (Plotin, Die erkennenden Wesenheiten.)

Und über die drei prinzipiellen Hypostasen:
Plotin:”…in diesem Sinne also ist die Seele selber der sprachlich-rationale Ausdruck des Geistes und die gesamte Aktivität und das Leben, das er aus sich hervorgehen läßt, so daß etwas anderes zur Existenz gelangt, (so wie es beim Feuer zum einen die Wärme gibt, die mit ihm zusammen ist, und zum anderen die, die es verbreitet.”