Welt und Trugbild

Castaneda: “Eine Verschiebung des Montagepunktes über die Mittellinie des menschlichen Kokon hinaus, stellte Don Juan fest, lasse die ganze Welt, wie wir sie kennen, im Handumdrehn aus unserem Blick verschwinden, ganz als wäre sie ausgelöscht – denn die Stabilität, die Materialität, die unserer wahrnehmbaren Welt anzuhaften scheine, sei nur die Kraft der Ausrichtung. Aufgrund der Fixierung des Montagepunktes an einen bestimmten Platz würden routinemäßig bestimmte Emanationen ausgerichtet. Mehr habe es nicht auf sich mit der Welt.
‘Nicht die Stabilität der Welt ist ein Trugbild’ , fuhr er fort, ‘das Trugbild ist die Fixierung des Montagepunktes an eine bestimmte Stelle. Wenn der Seher seinen Montagepunkt verschiebt, hat er nicht eine Illusion vor sich, sondern eine andere Welt. Diese neue Welt ist so wirklich, wie die unsere, die wir täglich vor Augen haben. Doch die neue Fixierung des Montagepunktes, die diese neue Welt hervorbringt, ist ebenso Trugbild wie die alte Fixierung.”

Was besagt nun hier das Wort von der Illusion? Sie impliziert nach einer erfolgten Perspektiverweiterung, daß nichts wahrhaft so ist, wie es uns scheint, kein Tier, keine Pflanze, kein überhaupt irgendeiner Art Gegenständliches ist im tieferen Sinne – aber da es (für uns) ‘ist’, ist es Sein (als Dasein), nämlich Bewußtsein in (uns Welt-gemäßer) reduktiver Form und Sicht. Die Art der Gestalt und die Gliederung in Wesenheiten bildet dabei ein äußerst komplexes Bild, das nicht grundlos erscheint. Welt ist Bild und aber wahr, insofern Welt wahr erlebt wird. Sie ist dabei das Ergebnis perzeptioneller Fixierung und mentaler Fokussierung auf diese Sicht als biographiebildende Anlage gemäß des Standes in Übereinstimmung mit Intentionen des Nous.
Kunst, Philosophie und Religion indes appellieren an den Geist als die über die Welt ausgreifende Seinsart, da sie (idealiter) über die uns gewohnt reduzierte Sicht hinausweisend die Ahnung offenlegen, daß mehr sei, als nur jenes, was uns gewöhnlich umgibt und konditioniert. Sie deduzieren eben, wenn man so will, Ahnungen aus dem Noussphärischen, die zur genauen Beschreibung drängen, indem sie diesen Ahnungen Bedeutung schenken, ihnen nachgehen und sie gedanklich oder praktisch vertiefen.
Lebt man indes in dem Bewußtsein, daß die gesamte vermeintlich profunde Welt in einem schlichten Augenblick verschwinden kann, um einer ganz anderen Welt Platz zu geben, stellt sich zuvorderst die Frage, welches bindende Element dahinter sei, das eben auch unsere Hiesigkeit antreibt und stabil hält und doch zugleich weit über ihr hinaus Bestand und Geltung haben muß. Indes handelt es sich hier um Seelenqualitäten, die tatsächlich ihren Ursprung dort haben, der als energetische Präposition Welt erst teleologisch bildhaft gebiert.