Unentschieden christlich

Kurt Flasch: ” Je mehr Unwahrscheinliches der Glaubensbote als faktisch geschehen behauptet, je mehr Geheimsisse er predigt, um so göttlicher, abenteuerlicher, integraler und ehrwürdiger klingt die Glaubensbotschaft. Um so verdienstlicher erscheint es, seinen Verstand in die Gefangenschaft des Glaubens zu geben. Ich als Zweifelnder lasse fromme Erzählungen als Fabel gern gelten und sage mit Goethe:
“So was freut mich alten Fabler:
Je wunderlicher, um so respektabler.”

Diese Aussage  ist -bei meiner Symphatie – aber doch etwas bemerkenswert für  einen Meister Eckhart Spezialisten wie Kurt Flasch.  Denn er kann ja wissen, daß einer  höchsten Transzendenz
(Göttlichkeit) und Heiligkeit gerade in der Sprache der negativen Theologie, in der Abkehr von jeder Konkretion und Attribution  erst ihre wirkliche  Integralität zugesprochen wird. Das Abenteuerliche und ‘Fabulöse’ hingegen (das freilich als metaphysische Realität verstanden werden darf), bei Meister Eckart als ” Umkreis der Ewigkeit” benannt,   ist seinerseits (hierin verwandt der ‘profanen’  Raumzeit) -wie verwunderlich es seiner Erscheinung nach auch sein mag-  immer nur Bildhaftes  höherer oder unbekannter Welt und Seinsart, ist damit  noch ganz im Streben, da ja außerhalb der ewigen und letzten Bestimmung und also außerhalb der unnennbaren Univozität von (bzw. vor) aller Erscheinung, dort, wo nach Meister EckhartEngel und Insekten eins sind“, wo also jede (perzeptive) Explikation an ihren endhaften Telos gekommen ist. Hier ist wahrlich eine höchste Stufe der Abtraktion, die nicht mehr anschaulich ist, die sich förmlich entzieht, die also vielmehr bemüht ist auszudrücken, was sie nicht ist, denn was sie ist, und so -insofern verstehe man die etwaige Abneigung (oder Nicht-Attraktion) – dem Ruch  unterliegt, kein Reservoir mehr  für jegliche Form spiritueller Projektion oder sakraler Erwartung zu bieten.
Im Apokryphon des Johannes wird gesagt:
Denn er existiert nicht in irgendeiner Form, denn alles existiert in ihm,”
“Er ist nicht in Vollkommenheit noch Seligkeit noch in Göttlichkeit, sondern er ist weitaus vorzüglicher.”
Die Kirche aber stößt das Fabulöse gerade nicht wegen solcher Zuwendung zu einer superlativen Totalität des Transzendenten  ab,  sie proklamiert ja schließlich -auch wenn sie hierin gerade heute vage bleibt- nicht ein solches Gottesbild,  sie bewahrt dennoch ihren Anthropomorphismus durch den Narrativ  vom Sohn und ebenso (gerade vom alttestamentarischen) Vater. Sie unternimmt diese Unterlassung viel eher aus der Sorge der Inkompatibilität, sie mag nicht zu viel der Angriffsfläche für Argumente bieten, die seit der historisch kritischen Methode nicht  mehr ohne  größte Mühe (oder gar nicht mehr) abzuwehren wären. Insofern ist ihre Weltzuwendung auch Ergebnis einer Diskurs-Auslassung und -vermeidung,  so auch  Signum einer von  Bequemlichkeit und Fluchtreflex geprägten Grundhaltung. (Karl Jaspers sprach in dem Kontext auch vom Ende des Gespräches.)  Durch das In der Welt Sein Jesu, durch die totale Betonung seiner  praktischen Ethik (und einhergehend der Abgabe der Rede von den übersinnlichen Seinbestimmungen und -beschreibungen) wird diese Vermeidung heute sogar  in Unauffälligkeit “positiv” vollziehbar.

Wie  klar und und ohne Unentschiedenheit  in der Bestimmung der (letzten) Sakralität  dagegen folgender  neuplatonische Satz (hat Flasch nicht das -Augustinische als verunglückten Neuplatonismus bezeichnet?): Die Seele, die bei ihrem Rückzug im Vollzug der Selbstbesinnung auf die in sich geeinigte Ganzheit des Nous blickt, darf daher nichts mitnehmen von Vorstellungen aus der zerstreuten Sinnessphäre, die zerstreuend ist. Erst im Geist wird der Bezirk erreicht, von dem aus das schlechtthin ungegenständliche Sein des Einen zugänglich wird.  Sein Innewerden zwingt zum Rückzug des Denkens aus der Vielheit seines Gedachten in eine neue Einheitsdimension von seinspezifischer Andersheit.