Mythos, Telos

Die bekannten Schriften der Offenbarungen sind bis heute weitgehend historisch dekonstruiert. Das allermeiste ist als imaginiert, intentional und konstruiert und mit real-diesseitigen Interessenlagen konnotiert entlarvt.
Da diese Imaginationen und die sich anschließende Historie aber unbestritten weltrelevante Wirkmacht entfaltet haben, liegt ihre eigentliche Bedeutung also dort – in der Wirkung eben – nicht im Wahrheitsgehalt selbst. Daher auch hier die Frage nach innerer Wahrheit und ihrer Relevanz zu Weltbezug und Weltverwirklichung zu stellen ist. Man weiß indes seit Platon: Wahrheit und (unsere) Welt korrelieren nur in höchst vermittelter Art (Welt selbst ist vielmehr Reduktion oder verstellte Sicht, im Buddhismus wird sie gar zum Trug). Die schärfste Reduktion, der eigentliche Trug wird dabei in der Verkümmerung und Verstellung der intelligiblen Entitäten vorgenommen
Die unbestrittene Wirkmacht der (religiösen) Imagination zeigt dabei wie zum Beweis ihre (einst) nötige Rolle, ihren Platz im teleologischen Weltaufzug. Der Sachverhalt ihrer Dekonstruktion stellt nun aber die Frage nach ihrem (welt-) unabhängigen Kern. Dieser – ohne weiteres gar nicht mehr nachvollziehbar – hat sich inhaltlich entleert und auf Mythos und Ritual verlagert und ist ab einem gewissen geschichtlichen/ erkenntnistheoretischen Punkt aus sich nicht mehr lebensfähig, kann nur künstlich am Leben erhalten werden – wird in diesem Kontext (um sein Vergehen fürchtend) unter Umständen zu einem repressiven Anachronismus. Dabei negiert man folgenden Sachverhalt: Glaubensbilder und Mythen haben ganz allgemein gar keinen zwingenden Ewigkeitscharakter, sondern sie sind viel eher vom Menschen und seinem Stand her zu entwickeln, werden dabei größer, varianter und abstrakter mit der eigenen (progressiven) Angleichung und Annäherung an den Telos. Sie bedeuten keine Apriorie, der Mythos ist nicht vor uns, sondern wir selbst haben ihn geboren, und es sind unsere ureigenen Kreationen, die uns einst so hoch über den Kopf gewachsen scheinen – Archonten, die wir selber nähren (was wiederum etwas über die Wirkmacht und die Apriorie des (eigentlichen, höheren) Menschen ausdrückt. Man kann hier auch sagen: Der Mythos ist apriorisch, jedoch nicht apriorisch zum apriorischen Menschen, und daher: in der (zukünftigen) Findung der eigenen Apriorie muß der Mythos eben progressiven Charakter annehmen. Die Gnosis trifft hierzu die passenden Aussagen vom hohen oder ersten Menschen, der eine den Kosmo-und Theogonien übergeordnete und vorgelagerte transzendente Entität ist.
Und doch ist hier anzufügen: Sind diese Archonten aber Repräsentanz der eigentlichen eidetischen Sphäre in der zeitlich gemäßen Abbildung, sichern sie sich aus sich selbst heraus ihren (ewigen) Bestand und zugleich ihre entsprechende Berechtigung in der Zeit, also auch in der Zukunft.
Arthur Schopenhauer sagt: “Alles Denken im weiteren Sinne des Worts, also alle innere Geistestätigkeit bedarf entweder der Worte oder der Phantasiebilder: ohne eines von beiden hat es keinen Anhalt.” Letztlich definiert diese Innerlichkeit ja gar den Archetypus, der in der Rezeption des Menschen erst Gestalt bekommt.
“Das Denken im engeren Sinne, also das abstrakte, mit Hilfe der Worte vollzogene ist nun entweder rein logisches Räsonnement, wo es dann gänzlich auf seinem Gebiete bleibt; oder es streift an die Grenze der anschaulichen Vorstellungen…”

Das heißt auch: Wird das Denken zum Bild, gerinnt es zur form(el)haften Erzählung, entfernt es sich entsprechend dem Geist-Kern, dann ist es allegorisch, später deutungsvariant und beliebig verschiedenen Intentionen anpassbar und schlicht dem Gang der echten Entwicklung hinderlich.
An der dynamisch gedachten Grenze der anschaulichen Vorstellungen wird es hingegen zur Repräsentanz der geistigen Verfaßtheit an ihrer (vorläufigen) Außengrenze und muß sich also mit dem der Erkenntnis eigenen progressiven Wesen mitführen und fortentwickeln können. Versperren sich die (vermeintlich) geistigen Dinge diesem Prozeß, sind sie Schöpfungen, die sich zuletzt nur zu Welt und Form neigen und so die Neuigkeit, das Explorative des Mythos verhindern und zuletzt die Eigentlichkeit der Grundlegung von Mythos selbst mißachten.