Mythos, Kunst und Gnosis

Hans Leisegang verweist in seinem Buch “Die Gnosis” auch insbesondere auf den Zugang zur Gnosis durch intuitives Wissen und Erkennen als Urform menschlichen Denkens; ein Denken, das erzählend ewige Ideen artikuliert. Ausdruck jener ist der Mythos. Die Bezugnahme zum Mythos vollzieht sich somit jenseits vom Rationalen, Mentalen, Bewußten.
So zitiert Leisegang Nietzsche: “Dem Mythos liegt nicht ein Gedanke zugrunde, wie die Kinder einer verkünstelten Kultur meinen, sondern er ist selber Denken.”
Und E. Bethe: “Nur Kinder und Künstler gehen unbeschadet durch Wald und Wiese von Sage und Märchen. Ihnen öffnet sich das Dickicht, sie finden auf still geheimer Lichtung die blaue Blume, sie verstehen das Rauschen der alten Eichen und das Flüstern des Röhrichts und das Duften der Rosen; und wenn sie dort ruhen am blühenden Hag, setzt sich wohl ein Zwerg zu Häupten und ein Reh legt traulich den Kopf in ihren Schoß: und nach läßlichem Wandern und träumendem Ruhen finden sie zur rechten Zeit wieder heraus aus den wogenden Wundern auf den Heimweg durch die abendlichen Felder.”
Diesen Zusammenhang erweitert Richard Wagner zu seiner religionskritischen Bemerkung: “Man könnte sagen, daß da, wo die Religion künstlich wird, der Kunst es vorbehalten sei, den Kern der Religion zu retten, indem sie die mythischen Symbole, welche die erste im eigentlichen Sinne als wahr geglaubt wissen will, ihrem sinnbildlichen Werte nach erfaßt, um durch ideale Darstellung derselben die ihnen verborgene tiefe Wahrheit erkennen zu lassen.”
Schelling drückt in seiner “Philosophie der Kunst” folgendes aus: “Das Geheimnis alles Lebens ist Synthese des Absoluten mit der Begrenzung. Es ist ein gewisses höchstes in der Weltanschauung, das wir zur vollkommenen Befriedigung fordern, es ist: höchstes Leben, freiestes eigenstes Daseyn und Wirken ohne Beengung oder Begrenzung des Absoluten.” Hegel: “Die Definition von Geist (das Absolute) zu finden und ihren Inhalt zu verstehen war das letzte Motiv aller Kultur und Philosophie. Alle Religionen und Wissenschaften haben sich bemüht, diesen Zustand zu erreichen.”
Im Resultat der Tätigkeit des künstlerischen Genies sieht Schelling dies verwirklicht. Und er sagt: “Bewußte und bewußtlose Tätigkeit sollen absolut Eins seyn im Produkt…” “Die (bewußte) Produktion soll in Bewußtlosigkeit enden, also muß es einen Punkt geben, wo beides (das Bewußte und das Unbewußte in Eins zusammenfallen…”
Dies trifft sich wiederum mit Plotins Proklamat nach einem “Rückzug hinter den Geist”, um durch “Schau” wieder zum “Einen” aufzusteigen, zur einstigen Herkunft, zum Höchsten.
Platon: -Lernen ist Erinnern an den (höchsten) Urzustand.
Künstlerische Tätigkeit ist somit Erkenntnisweg zum “Einen”.
Und Plotins Forderung “Tu alles fort” wird so z.B. beim frühen Picasso, bevor dieser eine ganz neue Formsprache entwickelt (die freilich keine andere als die mythologische ist), zum Diktum, das ihn in eine tiefste Krise stürzte “Ich sah… daß (in der Kunst) alles getan war . Man mußte sich überwinden…und bei Null beginnen.”
“Kunst”, die sich außerhalb dieser Teleologie bewegt, ist m.E. gar keine – ist lediglich Unterhaltung, Handwerk, Postkartenmalerei. Bezogen auf “die” aktuelle Kunst ist man versucht zu sagen: Wohl nie wurden mehr Postkarten gemalt, als diese Tage. Der Mythos schweigt sozusagen, weil offenbar kaum mehr jemand bereit ist, ihm das notwendige Opfer darzubringen -oder noch viel elementarer: weil gar keine Teleologie hierüber mehr erachtet wird.