Category Archives: Philosophisches

Entzauberung

Felix Dirsch spricht in einem Artikel von christlicher Warte über eine “technikinduzierte Entzauberung“.
Hierzu zweifacher Einspruch:
1) Was wir heute als vor-technischen Standpunkt behandeln, ist eine Interpretation, tatsächlich schauen wir nicht weniger als auf das Abbild des technischen Höchststandes der beschriebenen Zeit. “Verzauberung” ist gerade da wahrnehmbar, wo Technik als Stand des menschlich  Möglichen den Geist in Hinsicht auf sein höheres Sein sichtbar interpretiert und in dem Ergebnis seiner Tätigkeit als Verweis auf dieses eine entsprechende Repräsentanz schafft –  in seiner Befähigung zum Überzeitlichen zwar adäquat  überzeitlich  wirksam und kündend, aber nicht fälschlicherweise vom Jetzt aus betrachtet als verlorene oder vergangene  Befähigung oder Kraft, sondern als jederzeit nach Ausdruck verlangende Befähigung mit Anlage zur Progression.
2) Enzaubert hat tatsächlich das Christentum, indem es die geistigen Aspekte, den Mythos in das Reich der Fabel und des Aberglaubens verwiesen, das Geistige zu einer “Gott” getauften Personifikation  umfunktioniert und  als ein geschiedenes Agens aus der Welt abgezogen hat und an einen entrückten Punkt des Himmels verbannte, dem Menschen aber nur die erstorbene Materie überließ , dazwischen eine (ontologische) Grenze wie eine Lichtschranke errichtet hat. (Was nach  H.J.Störig dem semitischen Denken inhärent ist.) Daher auch Hegel sagte, die Christen hätten die Natur zum Leichnam gemacht. Die Natur als Geistform, als Form des Geistes in ihrer mannigfaltigen Erscheinung  ist somit  in der Breiten-  Wahrnehmung völlig abhanden gekommen.

 

 

Durchdringung

Konsequent gedacht  hat  jede Wissenschaft Anteil an der Zielführung zur Durchmessung und Durchdringung  des zu beschreibenden  Gesamt-Raums  im Sinne   eines   Hegel’ schen oder platonischen Sichwissens, das zu sich selber zurückfindet. Insofern ist Wissenschaft  -bei richtiger Definition von Religion– im Kern -vorläufig profaner – Teil dieser Findung. Das gilt für  die Mathematik und Teilchenphysik im besonderen Maße, weil diese Disziplinen alleine schon rechnerisch in der Lage sind, die  uns gewohnte  Raumzeit  zu transzendieren und damit Fenster zu einer weitgehend unbeschriebenen  Meta-Realität zu öffnen. Die Wissenschaftlichkeit ist hier, gegenüber  etwa der subjektiven Kontemplation, ein -objektives (positivistisches) Maß, weil  gerade das Vernunftgeleitete (jenes bildet sich besonders in der Bereitschaft zur Falsifikation des Thetischen und der Progression eines  -zu wandelnden und zu entwickelnden – Erkenntnisstandes ab)  dem Geist und der Geistigkeit zutiefst inhärent ist. Dagegen aber  steht offenbarte Überzeugung und Ideologie (und jene sind  somit ungeistig). Daher ja auch Kant:”Eine Religion, die der Vernunft unbedenklich den Krieg erklärt, wird es nicht lange gegen sie aushalten.” Durchdringung und Durchwaltung sind  dabei durchaus auch das Diktum  institutionalisierter Religionen  – nur eben nicht der abrahamitischen Systeme, die den Menschen durch Devotion seiner Bestimmung fernhalten und so Motive und Motivation  der Erkenntnis verstellen.  “Durchmessung” hingegen  tritt uns als ein altes gnostisches Ideal entgegen, das in  hermetischer Tradition bewahrt  und vor allem ab der Renaissance wiederentdeckt wurde, aber nach den- überfälligen- Säkularisierungen, die allerdings   einen bodenlosen Fall in den Materialismus nach sich zogen, bisher nicht wieder ernsthaft erkannt und aufgenommen wurde.  Die intrinsische  Anlage hierzu  ist indes in Jedem jeher vorhanden – doch  der Mensch ist falsch geprägt und spirituell entmündigt.  Und die wachsende Okkupation dieser Tage durch regressive religiöse Systeme  verhindert zudem hartnäckig einen neuen und versprechenden Ansatz zu jedem  erkenntnisgeleiteten Aufstieg.

 

Haltung zum Materiellen

Bezüglich der Verneinung des Materiellen, des Lebens in gewählter Einfachheit und Armut:
So gibt es  als integer zu betrachtende  Menschen, die in Bescheidenheit lebend bewußt Ressourcen schonen, Solidarität üben, teilen möchten usw ; dies, aus einer bewußten, Verzicht übenden und Verzicht erleidenden Haltung heraus ist ehrbar. Was darüber hinaus ein künstlich auferlegtes Lassen des Materiellen ohne natürliche innere Disposition betrifft, ist aber wenig förderlich, denn abseits eines sich selbst vollziehenden Verhältnisses zu den Dingen bedeutet dies die  Befassung und Einlassung mit dem Materiellen mit lediglich umgekehrten Vorzeichen. Wenn man  darüber hinaus zu dem Schluß kommt, daß das Materielle als eine gröbere Form des Geistigen zu verstehen  ist, kann jenes hilfreich sein oder schaden-binden oder entbinden-je nachdem eben, auf welches Geistige es sich richten mag – auch kann Besitz möglicherweise zur Freiheit zum Geistigen gereichen. In Hinsicht auf die ethische Implikation des Verhaltens zum Anderen, der weniger hat -in der Annahme einer Ganzheit , die sich zu sich selber (selbstemphatisch) positioniert- ist dies zwar moralisch wie spirituell durchaus von Belang, mit einem auf die menschliche Perzeption fokussierten respice finem betrachtet ist aber alles Raumzeitliche, und so auch  jeder Besitzstand bzw. Nicht-Besitzstand  ganz relativiert und somit eben relativ unbedeutend-und bezeichnet letztlich nicht mehr als eine desintegrierte – sprich manifestierte – Sicht auf eine Idee.

 

Entsäkularisierung

Durch die aktuelle Raumgreifung  regressiver  und rigoristischer religiöser Systeme vollzieht sich gerade eine schleichende und  doch höchst offensichtliche Entsäkularisierung des Gemeinwesens.   Eine Ermangelung des Bewußtseins über das eigene Vermächtnis, dessen Herleitung mühelos  bis zum Neolithikum datierbar ist und dessen geistige Errungenschaft sich in der Form eines hochdifferenzierten(europäischen) Kulturraumes abbildet, steigert sich  aktuell  bis zum Bewußtlosen und Bewußtseins-losen , führt dazu, daß die (neue) große Möglichkeit der Aszendenz des Geschlechts, die ohne die Jahrtausende währende Erkämpfung  eines potenten Freiheitsbegriffes  nicht möglich wäre,  die ihm nebenbei gesagt seit kurzer Zeit erst das Vermögen beschert hat, aus dem Prokrustesbett falscher Theorien über Gott und Mensch aufzustehen, in fahrlässigster Art verspielt zu werden droht. Das dies gar nicht als zu behandelnde brennende Sorge erachtet wird, scheint mir ein Indiz dafür, daß eine zwar sich im ganzen gerne als säkular gebende Gesellschaft die Prämissen der Säkularität nicht genügend verankert hat und gar nicht als wichtig genug beschützenswert nimmt, und daß sie so nicht kritisch und abwehrend genug gegenüber dem Wider-Rationalen, ja dem Phatologischen aufgestellt  ist und gar der Krankheit Platz einräumt, bloß um der unbequemeren Genesung aus dem Weg zu gehen und die Verkrümmung , statt sie in die richtige Richtung zu überführen, eher mit einer irreversiblenVerkrüppelung zu vollenden bereit ist, und das auch, weil die Gesellschaft -und so der Mensch-  sich insgesamt in  zu abgelenktem und niedergedrücktem Zustand  befindet, um überhaupt zur Klarheit über diesen Sachverhalt zu gelangen.

 

Vertane Möglichkeit

Das Problem mit unserer christlichen Prägung:
“Bewußtsein” als  die eigentliche formbildene Kraft, als tiefere Realität  hinter unserem subjektivierten Seinszustand -das eigentliche Agens, das  mit einer physiologischen Übersetzung das Individuierte (Menschliche) hervorbringt, wird nicht dieser Natur nach seiner Möglichkeit noch der Verantwortung zur Erweiterung (zu sich selbst zurück) überantwortet.  Das Wachstum des Bewußtseins zur Durchdringung zum höheren Dasein ist gleichbedeutend mit der Gewahrwerdung des Ich -Bewußtseins über seine transpersonale Herkunft und eigentliche Eigenschaft. Das Tragikum des christlich geprägten Menschen ist, daß er hierzu die durch die Biographie ermöglichte  Chance verpasst, weil er sich statt um Durchdringung in Devotion zu üben hat. Devotion bedeutet aber die Preisgabe der inneren Möglichkeit zur transpersonalen Vergewisserung, fordert statt dessen ein Abgeben, Vergessen und Verleugnen -so ein Abscheiden-  an ein Anderes, das aber eben das Eigene ist -somit Desintegration und spirituelle Schwächung bedeutet.  Besonders offensichtlich wird dieses Problem für die  letzte Lebensphase des Menschen, die hierfür gerade Rückzug, Besinnung und Konzentration ermöglichen könnte, die aber eben mit jener mißverständlichen religiösen Rückbindung  und darüber hinaus auch verschiedener ganz sinnloser Zerstreuung  vertan wird und so ungenutzt zum Tod verstreicht. Diejenigen  Religionen aber, die eine Wiedergeburt lehren, behandeln und begreifen den Menschen von einer überindividuellen Bewußtheit aus und ermöglichen so dessen Entwicklung   in seiner Eigenverantwortlichkeit innerhalb eines überraumzeitlichen und telosgeleiteten Kontinuums, begreifen so den eigentlichen Nutzen der menschlichen Lebensspanne und Todeserfahrung.

 

Ägyptische Logik

Erik Hornung in seinem Standardwerk über die altägyptische Götterwelt, “Der Eine und die Vielen”:

Komplementäre Logik

“Der Ägyptologe spürt, daß ägyptischem Denken eine eigene Stimmigkeit innewohnt, die uns oft gefühlsmäßig überzeugt, ohne daß wir sie mit unseren Kriterien widerspruchsfrei analysieren und formal bestimmen können. Auch wenn wir das Problem von der logischen auf die ontologische Ebene verschieben und mit einem anderen Begriff von Wirklichkeit im alten Ägypten rechnen, bleibt die Frage nach der Definition ägyptischen Denkens bestehen.
Eine typische Denkstruktur der Ägypter ist seit langem herausgearbeitet und oft beschrieben worden: Das Denken in Zweiheiten. … Das größte denkbare Ganze ist das Seiende und Nichtseiende, und Göttliches ist offenbar Eines und Vieles.

In seiner Amsterdamer Antrittsvorlesung hat Jan Zandee diese ägyptische Denkstruktur und ihren Widerspruch zum Satz der Identität bereits klar herausgearbeitet. Er stellt sie unter den Schlüsselbegriff des “undifferenzierten” Denkens, der uns nicht zu passen scheint; aber er verwendet..daneben schon die Bezeichnung “komplementär”.
Nichts liegt mir ferner, als die Ägyptologie um eine neue Logik zu bereichern…. Aber der Begriff der Komplementarität spielt seit langem eine bedeutsame Rolle in der Diskussion um die Erweiterung der “klassischen” Logik. Niels Bohr (sic!) hat ihn 1927 in die Physik eingeführt, um das zwielichtige Verhalten der Energiequanten in den Griff zu bekommen, um das Nebeneinander von Ort und Impuls, von Welle und Teilchen zu erklären, was mit Kalkülen der herkömmlichen Logik nicht möglich scheint, sondern eine Quantenlogik oder Komplementaritätslogik erfordert….
Gerade heute, da die zweiwertige Logik der Ja/Nein -Entscheidungen …Triumphe feiert, werden auch die Grenzen ihrer Anwendbarkeit allerorts sichtbar. Dem Beobachter scheint es, als sei die herkömmliche formale Logik, ähnlich wie die “klassische Mechanik”, nur in einem mittleren Bereich sinnvoll und gültig, während sich im sehr großen und im sehr Kleinen die Perspektiven verzerren, neue Denkstrukturen nötig werden.
Solange die Begründung einer mehrwertigen Logik fraglich bleibt, können wir nur eine Perspektive aufzeigen, aber keine gültigen Lösungen. Scheitert die Begründung, dann bleibt ägyptisches Denken, vorgriechisches Denken überhaupt, weiterhin der logischen Willkür oder Verschwommenheit ausgesetzt. Gelingt sie, dann können wir den Einen und die Vielen als komplementäre Aussagen fassen, deren Wahrheit sich im System einer mehrwertigen Logik nicht auschließt, sondern ergänzt: Gott eine Einheit in seiner Verehrung und Offenbarung, eine Vielheit in seinem Wesen und seiner Erscheinung. Ähnlich wäre die Fülle komplementärer Substanzen, die in ägyptischer Sicht die göttliche wie die menschliche Person ausmachen – jede Person hat ein Ba (göttliche Kraft/Freiseele), ist aber auch ein Ba, und dazu vieles andere-in einer mehrwertigen Logik nicht mehr so verwirrend und systemlos, wie es uns jetzt scheinen könnte.
Der Einblick in ägyptische Ontologie hat gezeigt, daß eine absolute Einheit und Transzendenz Gottes, ja jegliche Absolutheit Gottes, der ägyptischen Auffassung vom Sein zuwiderläuft; nur ein Gott, der nicht ist, kann absolute Eigenschaften haben. Die Überlegungen zum ägyptischen Denken legen nahe, daß eine auschließliche und auschließende Einheit Gottes für den Ägypter im vollsten Wortsinn undenkbar ist, weil er in komplementären Aussagen denkt. Darüber hinaus tauchte die Möglichkeit auf, daß ein Monotheismus für ägyptisches Denken logisch ausgeschlossen war und daher, trotz aller Ansätze, nicht verwirklicht worden ist.”

Ägyptische Götter

Goethe über die ägyptische Götterwelt:

“Nun soll am Nil ich mir gefallen
Hundsköpfige Götter heißen groß
O wär ich doch aus meinen Hallen
Auch Isis und Osiris los!”

Hier liegt offenbar die falsche Einschätzung zu Grunde, die ägyptischen Götter wären wörtlich zu nehmen. Dabei ist ihre Vielgestaltigkeit, ja  ihr ” interner Synkretismus”, lediglich sichtbar gewordener Ausdruck der Möglichkeit des Geistigen zur Mannigfaltigkeit. Denken wir daran, daß Platon in ägyptischen Mysterienschulen initiiert war, könnte man zu der Annahme kommen, daß gerade seine demiurgische Vielheit, der “platonische Ideenhimmel” von dort inspiriert sein könnte (wenigtens dies über Pythagoras) . Die verschiedene Gestaltigkeit der Götter  bedeutet dabei den Versuch der Darstellung der Explikation von verschiedenen Aspekten einer höheren -und nichtgestaltigen- göttlichen Identität. Was im Christentum auf die ganz willkürliche und als Rudiment der Gnosis zu betrachtende Vielheit der Trinität reduziert wurde, ist hier noch ursächlich  entfaltet und  der Konzeption nach -wie ich nahelegen möchte- gar unmittelbar erfahrungsinduziert. Das Implizite ist in seiner Qualität Bereitschaft und Möglichkeit, (ist zudem in seiner Explikation erwartungs-und beobachtungsabhängig) und kommt so zur variablen Gestalt. Letzter Aspekt des Göttlichen aber ist Transzendenz jeder Formhaftigkeit und Eigenschaft. Der ägytische Pantheon bietet hier assoziationsreiche Anschauung der untergeordneten Verwirklichung und des Eintretens  in die Sphäre des Seins und somit im Umkehrschluß Hinweis auf ein letztes Nichtseiendes (und ist so der Transzendenzvorstellung der späteren abrahamitischen Systeme bereits voraus).
Ein Aspekt zudem, der mir symphatisch erscheint:  Die ägyptische Sicht erkennt in den Tieren oft die physiologische Überlegenheit gegenüber dem Menschen und findet sich daher nicht allein mit einer anthropomorphen Spiegelung bzw. Überhöhung ab. Sie versucht vielmehr, mit der  Inszenierung überlegener tierischer Aspekte  die Überlegenheit Gottes zu verdeutlichen. In gewisser Hinsicht handelt es sich hier für mich um eine Adlung der Tierwelt, durchaus mit dem Hinweis auf die perzeptionsabhängige Erweiterbarkeit des menschlich beschränkten Weltbegriffes, wie z.B. auch von Tolstoi gefordert.

Platon und Offenbarung

Ein ganz fundamentaler Unterschied zwischen “Platon und Bibel” (weitergefaßt zwischen Philosophie und Offenbarung) besteht nun darin, daß Platon das Wissen bzw. die Verantwortung (und den Grund) der Destination des Menschen eben in die Hand des selben legt. Es existiert keine Offenbarung, keine Handreichung von Außen.  Der Auftrag, der hieraus erwächst (“Erinnern–was wir “Lernen” nennen”), ist nicht weniger als Menschheitsagenda, ein evolutionärer Prozeß, der sich daher zwangsläufig als Ökumene -nämlich unter Sammlung sämtlicher Errungenschaft – sämtlichen Wissens- erweisen und bewähren muß. Hier kommt man, so man möchte,  zu  Karl Jaspers, der daher sagen kann: “Wahrheit ist was uns verbindet.”
Und um dem möglichen Mißverständnis entgegenzuwirken, Religiösität und Auschließlichkeit gehörten zwangsweise zusammen, ein aufschlußreiches Zitat von v.Glasenapp über “die” indische Religion:
H.v. Glasenapp:” Während die meisten abendländischen Metaphysiker…ihre Anschauungen für der Weisheit letzten Schluß ansahen, haben manche Inder schon seit der vedischen Zeit die Meinung vertreten, daß es eine für alle Menschen und alle Zeiten gültige religiöse oder philosophische Erklärung nicht geben könne, sondern daß nur eine Vielheit von Anschauungsweisen von verschiedenen Standpunkten aus je einen Teilausschnitt der für das Fassungsvermögen der Sterblichen unerkennbaren höchsten Wahrheit zu vermitteln vermag…. Diese ´dynamische´ Einstellung zum Wahrheitsbegriff hat den indischen Philosophen schon frühzeitig die Erkenntnis ermöglicht, daß alle Versuche, die Welt zu deuten, stets nur provisorischen und symbolischen Wert haben können.”

Thomas Müntzer

Thomas Müntzer findet heute im Vergleich mit anderen Reformatoren nur randständig Beachtung und wird zumeist ausschließlich mit den Bauernkriegen in Verbindung gebracht. Tatsächlich hat er mit Klarheit den Verfall des Christentums in seiner Zeit erkannt und in seiner pastoralen Tätigkeit vor allem Schritte eingeführt, um das Religiöse, das mittlerweile  ganz seiner Bestimmung entrissen war,   wieder zuruckzuführen, nämlich dem Eigenen, -dem Inneren religiösen Kern des Menschen-und somit darüber hinaus dem eigentlichen Körper der Kirche, also dem Volk.
Müntzer: Der Mensch”sol und muß wissen, das got in ym sey, …das er yn nicht außsinne, wie er tausent meilen von ym sey, sonder  wie himel und erden vol, vol Gottis seint, und wie der vatter den son in uns ohn unterlaß gebiret, und der heilige geist nit anders denn den gecreuzigten in uns durch herzliche betrubnis erklaret.”
H.J.Goertz:”Mit der Einführung der Kindstaufe, d.h., dem Vollzug des Sakrements an Unmündigen, Unbelehrbaren , ist der “Eingang zur Christenheit zum viehischen Affenspiel geworden.” (Eine starke Übereinstimmung  mit den Katharern)
“Sowohl die alten als auch die neuen Theologen verhinderten die Ankunft des Glaubens und nähmen dem gemeinen Mann jede Möglichkeit, in ein unmittelbares Verhältnis zu Gott zu treten.”
“Es muß ein yeder die kunst gotes, den rechten christenglauben nit durch stickenden athem teüfflischer scrifftgelehrten überkummen, sonder durchs ewige, krefftig wort des vatters im sun mit erleutherung des heyligen geyst und also erfüllet werden in seyner selen in die lenge, in die wyte, in die breyte, in die tieffe, in die höhe.”
Hier ist bis in den Wortlaut hinein Müntzers Anbindung an Meister Eckarts Texte zu erkennen, freilich hat er diese über Tauler aufgenommen, bezeugtermaßen in seiner Zeit im Zisterzienserkloster Beudenitz .
“Es sind nicht nur die Wittenberger, sondern auch die Fürsten, die sich der Ankunft des Glaubens in den Weg stellen und das Volk in Abhängigkeit, Angst und Not halten, …besonders aber fürchtet der Mensch die Obrigkeit, die eingesetzt ist , “nicht umb der forcht des gutten wercks, sondern umb der hengerischen forcht des bösens.”
Wenn Ludwig Marcuse sagt, “Eckehart war in der Tat viel gefährlicher als später Luther, als die Entlarvung des Priesterbetrugs im achtzehnten Jahrhundert, als der harmlose Atheist des zwanzigsten.”, so stellen wir fest, daß diese Gefährlichkeit in Männern und Mystikern wie Müntzer  zu wirkmächtiger Entfaltung kommt . Meister Eckharts gedankliche Sprengkraft kommt über Tauler zu Müntzer und ist indes Konsequenz aus der Adaption platonischer (mystischer) Prämissen über die  Seinsteilhabe jedes Einzelnen am Absoluten.

 

Immanente Kirche

Karl Jaspers: “Gemeinde ist wichtiger als Kirche, Sekte wirksamer als Kirche, könnte nicht der Kanon heiliger Bücher, die Form des Kultus, die Lebendigkeit der Kommunikation genügen?”
Kirche sollte gar nicht etwas Gefertigtes, Geschaffenes meinen, nicht im Ansatz etwas Eingesetztes, und ihre Gemeinde sollte weder des Kultus noch der Schrift noch irgendeiner Form oder Abgeschiedenheit bedürfen (haben wir das nicht bereits von Meister Eckhart eindringlich genug vernommen?), sondern  Kirche könnte  einfach  als Synonym für eine konsensuale  Ansicht gebraucht werden, die eine Einigkeit über die ontologischen Implikationen der menschlichen Stellung und Teilhabe am Gesamt-Sein und die Anerkennung der Beauftragung zur Gewahrwerdung hierüber und  -somit “Überwindung” -als Zweck und Daseinsbestimmung  anerkennt. Dies ist eine  Sache der Allgegengenwärtigkeit (bzw. Alltäglichkeit ) und somit enthoben von räumlichen oder zeitlichen Refugien und Vorhaben -im Gegenteil geht es ja um die Transzendierung jener-daher schmälert jede Verlagerung aus der Gegenwärtigkeit, jede vom “Ganzen” abgesetzte Form diesen eigentlich umfassenden Sakralisierungsauftrag.  Gewahrwerdung über die Konsequenz der Seins-Vorgabe erschließt sich zuletzt aus sich selbst und folgt einer inneren  Notwendigkeit zur Progression und ist auschließlich Frage der zur Immanenz ausgerichteten  Haltung und Handlung.