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Verwirklichung

Meister Eckhart: “Wer den Leib unseres Herrn gern empfangen will, der braucht nicht danach zu schauen, was er in sich empfinde oder spüre oder wie groß seine Innigkeit oder Andacht sei, sondern er soll darauf achten, wie beschaffen sein Wille und seine Gesinnung seien. Du sollst nicht hoch anschlagen, was du empfindest; achte vielmehr für groß, was du liebst und was du erstrebst.”

Zu einem solchen Erstreben Beierwaltes über Ficino: ” Die Unendlichkeits-Tendenz des Geistes oder seine ontologische oder intellectuale Verfaßtheit als ‘infinita virtus’ ist auch der Grund dafür, daß er innerhalb des in sich differenzierten (gestuften) Ganzen der Wirklichkeit nicht als auf irgend eine Stufe (gradus) fixiert gedacht werden kann; er ist sozusagen nach ‘beiden Seiten hin’ offen, vollzieht seine begreifenden und wollenden Akte in sich selbst nach ‘oben und unten’ gleichsam universal, bezieht sich denkend ebensosehr auf die ‘unendliche Wirklichkeit‘ Gottes, wie auf die ‘unendliche Möglichkeit‘ der Materie, gemäß der sie unendlich viele Formen in ihr selbst sich ausprägen läßt.”

Wie aber kann es überhaupt möglich werden, sich im alltäglichen Dasein – das uns mit aller Profanität binden und bestimmen will – nach einem Höheren zu orientieren? Dies nun in der Vergegenwärtigung, in der Bewußtheit über die Potenz eben zur hohen Verwirklichung, in der Unzufriedenheit daher mit dem Status Quo, daraus resultierend in einer Ungenügsamkeit und Ruhelosigkeit angesichts des Welt-Seins. Dies fordert alltäglich ein Vorangehen und Streben, es fordert Experiment, Aneignung, Fortschritt, Durchwirkung, Erfindung, Erweiterung in der Welt, aber zur Überwindung der Welt, nicht zu ihrer Affirmation.
Zuletzt ist die Ermöglichung in der Materie ‘nur’ gleichkommend einem Durchgang durch eben sie und soll zu feinstofflicheren Seinsebenen führen. Geistigkeit selbst kann im Alltag indes durch Ausrichtung, Denkart, Praxis, Meditation, Reinigung, Klärung der Physiologie und ähnlicher läuternder Prozesse angebahnt oder gar erwirkt werden.

Ohne Vermittlung

Meister Eckhart: “Die erste Stufe des inneren und des neuen Menschen, spricht Sankt Augustinus, ist es, wenn der Mensch nach dem Vorbilde guter und heiliger Leute lebt, dabei aber noch an den Stühlen geht und sich nahe bei den Wänden hält, sich noch mit Milch labt.
Die zweite Stufe ist es, wenn er jetzt nicht nur auf die äußeren Vorbilder, (darunter) auch auf gute Menschen, schaut, sondern läuft und eilt zur Lehre und zum Rate Gottes und göttlicher Weisheit, kehrt den Rücken der Menschheit und das Antlitz Gott zu, kriecht der Mutter aus dem Schoß und lacht den himmlischen Vater an.
Die dritte Stufe ist es, wenn der Mensch mehr und mehr sich der Mutter entzieht und er ihrem Schoß ferner und ferner kommt, der Sorge entflieht, die Furcht abwirft, so daß, wenn er gleich ohne Ärgernis aller Leute (zu erregen) übel und unrecht tun könnte, es ihn doch nicht danach gelüsten würde; denn er ist in Liebe so mit Gott verbunden in eifriger Beflissenheit, bis der ihn setzt und führt in Freude und in Süßigkeit und Seligkeit, wo ihm alles das zuwider ist, was ihm (= Gott) ungleich und fremd ist.”

Der erwachende Mensch lebt in der Wahrheit seiner selbst, nicht nach einer Führung .
Plotin sagt: “Ist es aber die Seele, die du im andern bewunderst, so bewunderst du damit dich selbst.” Und: “Da nun die Seele ein so wertvolles, ein göttliches Ding ist, so halte dich durch solche Begründung nunmehr überzeugt daß du mit einem solchen Mittel zu Gott hingelangen kannst und steige gerüstet zu ihm hinauf: gewißlich wirst du ihn nicht ferne antreffen, der Zwischenstufen sind nicht viele.”

Bei Plotin ist die Seele der ausgesprochene Gedanke des Geistes.

“So kommt also der Seele die Existenz vom Geist; es besteht aber auch die Verwirklichung ihres Begriffs darin, daß sie den Geist schaut. Denn wenn sie hineinblickt in den Geist, so hat sie das was sie denkend verwirklicht, in sich selbst als ihr Zugehöriges.”
Hier wird der Auftrag des Menschen ganz deutlich gemacht: Er soll sich als beseeltes Leben der Möglichkeit eben seiner Beseelung bewußt werden, die von ihrem Grund her aufstrebt und sich zum Hohen, zum Geistigen, zum Feinstofflichen erheben will. Dies ohne jede Vermittlung, denn jene verhindert die Unmittelbarkeit, die ja gerade die eigentliche Nähe und Möglichkeit zur Totalität erst beschreiben kann.

Gebet und Sein

Meister Eckhart: “Nun frage ich wiederum: Was ist des abgeschiedenen Herzen Gebet? Darauf antworte ich wie folgt und sage: Abgeschiedene Lauterkeit kann nicht beten, denn wer betet, der begehrt etwas von Gott, das ihm zuteil werden solle, oder aber er begehrt, daß ihm Gott etwas abnehme. Nun begehrt das abgeschiedene Herz gar nichts, es hat auch gar nichts, dessen es gerne ledig wäre. Deshalb steht es ledig allen Gebets, und sein Gebet ist nichts anderes, als einförmig zu sein mit Gott. Das macht sein ganzes Gebet aus.”

Dieses Gebet meint keine Bitte, keinen Dialog zwischen Mensch und Gott, überhaupt kein In- Relation- Treten irgendeiner Art, sondern nur ein Verhalten zum (einzigen) Sein als solches (werdende) Sein . Es meint eine hiesige Ausrichtung zum Ganzen in aller Zeit und aller Gelegenheit zu einer Werdung, die ganz selbstreflexiv genannt werden kann, da das Denken vom Subjekt weggenommen und nun aber vom Höchsten her gedacht wird, das sich eben selber sucht.

“Gleichheit, Einheit oder Identität des Seins Gottes durch oder als Denken ist also nicht als ein starr in sich fixiertes, in sich verschlossenes Eines zu denken, sondern als ein in dem Anderen seiner selbst, d.h. in seiner Gleichheit sich selbst entfaltendes und auf sich selbst sich zurückbeziehendes Sein zu begreifen. ” (Beierwaltes über Eckhart)

Dieser Rückbezug ist das tatsächliche Werk, ist Auftrag und Weg.
Die Anbetung hingegen affirmiert Welt und Materie, delegiert die spirituelle Initiative nämlich an ein Ens – also wiederum an ein Bild als einer Manifestation aus dem doch allem Ureigenen und hält den Menschen also ganz in Abhängigkeiten seiner eigenen begrenzenden Emanationen. Man kann auch sagen, der Mensch hindert so die Unmittelbarkeit seiner Verbindung zum Einen.
Denn das “Denken ist ein Zusammensehen des vielen Gedachten in das Eine, welches alles Gedachte einheitlich ist.” (Volkmann-Schluck)
Das Denken aber ist Akt im Subjekt allein, das sich objektiviert. Es hat nichts außerhalb.

Ojas

Der Schamane Don Juan Matus bei Carlos Castaneda:
“Falls Du genügend persönliche Kraft hast, wirst du mit absoluter Gewißheit den Zeitpunkt bestimmen, (zu dem du das Haus verlassen mußt). Warum die Tatsache, daß du zur richtigen Zeit aufbrichst, dich führen wird, das ist etwas, was niemand weiß. Und doch, wenn du genug Kraft hast, dann wirst du selbst feststellen, daß es so ist.”

Die hier gemeinte Kraft ist letztlich Repräsentanz und Wirkprinzip des Einen, das die reduzierten Glieder seiner selbst zu sich selbst in ein Ganz-Sein zurückzuführen bestrebt ist. Daher liegt seine Autorität über der willentlichen Ausrichtung des Ego, das den eigentlichen höheren Willen von seiner eingeschränkten Warte aus nicht bewußt nachvollzieht. Und doch wirkt dieser eben in jedem Akömmling – Ab-Gekommenen – , und sei er noch so klein und entfernt vom Ursprung und dessen tiefer Bewußtheit.

Hier sei genauer erwähnt der Weg der Kraft in hinduistischer Tradition durch eben den Begriff einer im Menschen wirksamen spirituellen Energie und der Möglichkeit ihrer Förderung durch Energiearbeit:

Kraft oder Ojas

“Ojas ist…die spirituelle Energie. Damit das Bewusstsein alle Grenzen transzendieren kann, muss der Geist auf eine höhere Ebene gehoben werden. Der Geist braucht viel subtiles Prana, um in diese Ebene zu kommen. Zwar ist es langfristig so, dass die erwachte Kundalini unendliche Menge an Ojas geben wird, wenn sie in die höheren Chakras aufgestiegen ist. Aber bis dahin gilt es, durch bewusste Praxis Prana in Ojas umzuwandeln

Vayus steuern die Körperfunktionen des physischen Körpers
Prana ist auf der physischen Ebene in Form der fünf Vayus aktiv. Vayus sind die Steuerungsenergien, die die Funktionen des physischen Körpers regulieren. Gemäß der Lehre des Kundalini-Yoga kann der physische Körper allein gar nichts. Es ist das Prana, das für alle Lebensfunktionen verantwortlich ist.

Die fünf Vayus, die die Körperfunktionen steuern, sind:

Prana Vayu ist die Energie hinter dem Atemsystem. Es steuert die Funktion der Lungen und der Atemmuskeln und hat seinen Sitz in der Brust. Es ist auch die Energie hinter dem Überlebensinstinkt.
Apana Vayu ist die Energie hinter dem Ausscheidungssystem, der Sexualität, der Menstruation und der Geburt. Es steuert Enddarm und Anus, Nieren, Blase und Geschlechtsorgane und hat seinen Sitz im Beckenbereich. Es ist auch die Energie hinter Kreativität und Arterhaltung.
Samana Vayu ist die Energie hinter der Verdauung. Es steuert alle Verdauungsorgane und hat seinen Sitz im Bauch. Es ist auch die Energie hinter Willenskraft, Selbstbewusstsein und Durchsetzungsfähigkeit.
Vyana Vayu ist die Energie hinter dem Blutkreislauf und dem Bewegungssystem. Es steuert das Herz, die Blutgefäße und die Muskelaktivität. Sein Sitz ist im ganzen Körper. Es ist auch die Energie hinter jeder Bewegung.
Udana Vayu ist die Energie hinter den Kommunikationssystemen. Es steuert die Sprache, die Nerven, das Gehirn und die Hormone. Es hat seinen Sitz in der Kehle. Es ist auch die Energie hinter Schlafen, Träumen, Astralreisen und die Kraft, mit der die Seele im Moment des Todes zusammen mit dem Astral- und Kausalkörper den physischen Körper verlässt.
Mittels diverser Yoga-Techniken kann die Funktion dieser Vayus harmonisiert und so die Gesundheit verbessert werden. Gleichzeitig wird dabei ein Teil dieser Vayus sublimiert, also verfeinert, in Ojas umgewandelt und in den höheren Chakras aufgespeichert.”

Integrität

Don Juan Matus: “Das Selbstvertrauen des Kriegers ist nicht das Selbstvertrauen des Durchschnittsmenschen. Der Durchschnittsmensch strebt nach Bestätigung in den Augen des außenstehenden Betrachters und nennt dies Selbstvertrauen. Der Krieger strebt nach Makellosigkeit in seinen eigenen Augen und nennt dies Bescheidenheit. Der Durchschnittsmensch ist auf seine Mitmenschen angewiesen, während der Krieger nur auf sich selbst angewiesen ist.”

Schopenhauer: “Je deutlicher einer sich der Hinfälligkeit, Nichtigkeit und traumartigen Beschaffenheit aller Dinge bewußt wird, desto deutlicher wird er sich auch der Ewigkeit seines eigenen internen Wesens bewußt, weil doch eigentlich nur im Gegensatz zu diesem jene Beschaffenheit der Dinge erkannt wird.”

“Aus meinem Anfangssatz ‘Die Welt ist meine Vorstellung’ folgt zunächst: ‘Erst bin ich und dann die Welt.’ Dies sollte man wohl festhalten als Antidoton gegen Verwechselung des Todes mit Vernichtung. Jeder denke, daß sein innerster Kern etwas ist, das die Gegenwart enthält und mit sich herumträgt. Wann immer wir auch leben mögen, stehts stehn wir mit unserm Bewußtsein im zentro der Zeit, nie an ihren Endpunkten und könnten daraus abnehmen, daß jeder den unbeweglichen Mittelpunkt der ganzen unendlichen Zeit in sich selbst trägt.”

Makellosigkeit: Das heißt, der Mensch soll nach sinnhafter Verbindung all dessen streben, was in seinem Seinsradius vorliegt und geschieht. Diese Integrität erst ermöglicht ihm einst die Konzentration zu einem Sein, das über jeder Bildhaftigkeit und ihren Intentionen dazu steht, welche auch immer mit Überwindung von Distraktion zu tun haben. ‘Der Krieger’ braucht einst kein Außen, um sich zu reflektieren (sic!). Er ist.
Zu Lebzeiten: Er lebt durchaus immerfort in diesem Gestus, auch wenn sich das Außen nicht vermeiden läßt.

Bastion des Bewußtseins

Carlos Castaneda: “Das Durchbrechen der Wahrnehmungsbarriere, sagte er, sei der Gipfelpunkt dessen, was die Seher täten. Von dem Augenblick an, da die Barriere durchbrochen sei, gewinne der Mensch und sein Schicksal eine ander Bedeutung für den Krieger. Wegen der transzendentalen Bedeutung des Durchbrechens dieser Barriere diene der Akt des Durchbrechens den Sehern als abschließende Prüfung. Die Probe bestehe darin, im Zustand normaler Bewußtheit von einem Berggipfel in einen Abgrund zu springen. Gelinge es dem in den Abgrund springenden Krieger nicht, die alltägliche Welt auszulöschen und eine andere zusammenzusetzen, bevor er am Grunde aufschlage, so finde er den Tod.
‘Was du also tun wirst, ist, diese Welt verschwinden zu lassen’, fuhr er fort. ‘Aber du wirst doch irgendwie du selbst bleiben. Dies ist die letzte Bastion des Bewußtseins, auf die der Seher sich verläßt. Er weiß, daß er, nachdem er an der Bewußtheit verbrannt ist, irgendwie das Gefühl behalten wird, er selbst zu sein.’ “

Auch hier sei Schopenhauer zitiert: “Aus meinem Anfangssatz ‘Die Welt ist meine Vorstellung’ folgt zunächst: ‘Erst bin ich und dann die Welt.’ Dies sollte man wohl festhalten als Antidoton gegen Verwechselung des Todes mit Vernichtung. “

Das Bewußtsein ist die eigentliche Qualität und Essenz des Ich – als höheres Ich – , also einer Disposition vor der Emanation, die zur Bildung (sic!) der Dinge drängt. Wir wissen aus zahllosen Nahtoderfahrungen, daß die Perzeption oder Mechanik zur Konstruktion der Welt in Angesicht des Todes ‘kollabiert’ und daß das Bewußtsein in eine höhere Sichtweise gestellt ist, von wo es Inkarnation(en) überblicken kann und ganz andere Welten-Stufen wahrzunehmen in die Lage versetzt ist. Nach der obigen Diktion kommt es also zu einer Verlagerung des Abgriffs zu einer viel höheren Veranlagung, die unsere alltägliche Welt auf das äußerste relativiert und jene Ansichten untermauert, die Weltsein gemeinhin als Illusion oder zumindest Abglanz tieferer (noussphärischer) Anlagen bezeichnen, in deren Kontext das Eigentliche wie das eigentliche Ich viel wahrhafter residieren als hier.

Welt und Trugbild

Castaneda: “Eine Verschiebung des Montagepunktes über die Mittellinie des menschlichen Kokon hinaus, stellte Don Juan fest, lasse die ganze Welt, wie wir sie kennen, im Handumdrehn aus unserem Blick verschwinden, ganz als wäre sie ausgelöscht – denn die Stabilität, die Materialität, die unserer wahrnehmbaren Welt anzuhaften scheine, sei nur die Kraft der Ausrichtung. Aufgrund der Fixierung des Montagepunktes an einen bestimmten Platz würden routinemäßig bestimmte Emanationen ausgerichtet. Mehr habe es nicht auf sich mit der Welt.
‘Nicht die Stabilität der Welt ist ein Trugbild’ , fuhr er fort, ‘das Trugbild ist die Fixierung des Montagepunktes an eine bestimmte Stelle. Wenn der Seher seinen Montagepunkt verschiebt, hat er nicht eine Illusion vor sich, sondern eine andere Welt. Diese neue Welt ist so wirklich, wie die unsere, die wir täglich vor Augen haben. Doch die neue Fixierung des Montagepunktes, die diese neue Welt hervorbringt, ist ebenso Trugbild wie die alte Fixierung.”

Was besagt nun hier das Wort von der Illusion? Sie impliziert nach einer erfolgten Perspektiverweiterung, daß nichts wahrhaft so ist, wie es uns scheint, kein Tier, keine Pflanze, kein überhaupt irgendeiner Art Gegenständliches ist im tieferen Sinne – aber da es (für uns) ‘ist’, ist es Sein (als Dasein), nämlich Bewußtsein in (uns Welt-gemäßer) reduktiver Form und Sicht. Die Art der Gestalt und die Gliederung in Wesenheiten bildet dabei ein äußerst komplexes Bild, das nicht grundlos erscheint. Welt ist Bild und aber wahr, insofern Welt wahr erlebt wird. Sie ist dabei das Ergebnis perzeptioneller Fixierung und mentaler Fokussierung auf diese Sicht als biographiebildende Anlage gemäß des Standes in Übereinstimmung mit Intentionen des Nous.
Kunst, Philosophie und Religion indes appellieren an den Geist als die über die Welt ausgreifende Seinsart, da sie (idealiter) über die uns gewohnt reduzierte Sicht hinausweisend die Ahnung offenlegen, daß mehr sei, als nur jenes, was uns gewöhnlich umgibt und konditioniert. Sie deduzieren eben, wenn man so will, Ahnungen aus dem Noussphärischen, die zur genauen Beschreibung drängen, indem sie diesen Ahnungen Bedeutung schenken, ihnen nachgehen und sie gedanklich oder praktisch vertiefen.
Lebt man indes in dem Bewußtsein, daß die gesamte vermeintlich profunde Welt in einem schlichten Augenblick verschwinden kann, um einer ganz anderen Welt Platz zu geben, stellt sich zuvorderst die Frage, welches bindende Element dahinter sei, das eben auch unsere Hiesigkeit antreibt und stabil hält und doch zugleich weit über ihr hinaus Bestand und Geltung haben muß. Indes handelt es sich hier um Seelenqualitäten, die tatsächlich ihren Ursprung dort haben, der als energetische Präposition Welt erst teleologisch bildhaft gebiert.

Ganz werden

Carlos Castaneda: ” ‘Die Meisterschaft des Bewußtseins ist es, die dem Montagepunkt einen Schub versetzt. Immerhin hat’s mit uns Menschen nicht viel auf sich: wir sind im wesentlichen ein Montagepunkt, der an eine bestimmte Position fixiert ist. Unser Feind, und zugleich unser Freund, ist der innere Dialog, unser inneres Inventar. Sei ein Krieger. Schalte deinen inneren Dialog ab. Mache dein Inventar und wirf es aus dem Fenster. Die neuen Seher legen sorgfältige Inventare an und lachen am Ende darüber. Ohne das Inventar wird der Montagepunkt frei.’
Don Juan erinnerte mich daran, daß er viel über den stabilsten Aspekt unseres menschlichen Inventars gesprochen habe: unsere Vorstellung Gottes. Dieser Aspekt, sagte er, wirke wie ein starker Leim, der den Montagepunkt an seine ursprüngliche Position binde. Falls ich aber eine andere wahrhafte Welt, aus einem anderen großen Emanationen-Band montieren wolle, müsse ich einen unvermeidlichen Schritt tun und meinen Montagepunkt von all diesen Dingen freimachen.”

Das Anhängen an religiösen Dogmen nimmt dem Menschen die Möglichkeit zur Initiative und Entwicklung. Der Mensch soll sich jedoch komplettieren, indem er seiner Position im Universum und der Zeitlichkeit angesichts seiner eigentlichen Potenz gewahr wird. Dies gelingt zuletzt mit Wissen und Erfahrung sowie durch energetische Hebung im Bewußtsein auf die eigene unbegrenzte Kraft und ihren Telos, ihrer Möglichkeit zur Befreiung aus der Fixierung und (Welten-) Reduktion. Die Anbetung hingegen manifestiert die eigene Schwäche und Handlungsunfähigkeit, affimiert Welt und Materie, delegiert die spirituelle Initiative nämlich an ein Ens – also wiederum an ein Bild als einer Manifestation aus dem doch allem Ureigenen und hält den Menschen also ganz in Abhängigkeiten seiner eigenen begrenzenden Emanationen, läßt ihn an einem Platz der Schwachheit und Erstarrung, der ihm nicht gebührt. Denn er ist genau zum Gegenteil berufen: Er muß sich seiner wahren Ausdehnung und Autonomie vergewissern und alle Initiative ergreifen, die Bewußtheit über seine Eigentlichkeit voranzubringen und entsprechend ganz zu werden – jenseits aller Bilder.

Über den Bildern

Carlos Castaneda: “(Don Juan Matus): Die alten Seher, so erklärte Don Juan, hätten anscheinend niemals erkannt, daß der menschliche Kokon ein Gefäß sei, und er den Angriffen der rollenden Kraft nicht ewig standhalten könne. Trotz all ihres Wissens, das sie ansammelten, seien sie am Ende gewiß in keiner besseren, vielleicht sogar in einer viel schlechteren Lage gewesen als der Durchschnittsmensch.
…Ihr immenses Wissen zwang sie, als selbstverständlich anzunehmen, daß ihre Entscheidungen unfehlbahr wären, sagte er. Also entschieden sie sich dafür, zu leben um jeden Preis.
Sie entschieden sich dafür, zu leben, genau wie sie sich dafür entschieden, Bäume zu werden, um Welten aus jenen beinah unerreichbaren großen Bändern zusammenzusetzen.

Sie benutzen die rollende Kraft, um ihren Montagepunkt in unvorstellbare Traumpositionen zu verschieben, statt ihn in den Schnabel des Adlers rollen zu lassen, um verschlungen zu werden.”

Don Juan sagte, daß abenteuerfreudige Menschen, vor die Wahl gestellt, in einer Welt des Alltags zu sterben, oder aber in jenen unbekannten Welten den Tod zu finden, unvermeidlich das letztere wählen würden und daß die neuen Seher, da sie erkannten, daß ihre Vorfahren lediglich den Schauplatz ihres Todes vertauschten, endlich die Vergeblichkeit all dessen eingesehen hätten: die Vergeblichkeit des Bemühens, ihre Mitmenschen zu beherrschen; die Vergeblichkeit des Zusammensetzens anderer Welten, und vor allem aber die Vergeblichkeit des Eigendünkels.
Eine der gücklichsten Entscheidungen dieser neuen Seher, sagte er, sei es gewesen, daß sie ihren Montagepunkt niemals für die Dauer in eine andere Position als jene der gesteigerten Bewußtheit verschoben hätten. Aus dieser Position sei es ihnen gelungen, das Dilemma der Vergeblichkeit zu überwinden und zu entdecken, daß die Lösung nicht einfach darin bestehe, sich andere Welten zum Sterben zu wählen, sondern in der Entscheidung für die absolute Bewußtheit, für die absolute Freiheit.
Indem sie sich für die absolute Freiheit entschieden, sagte Don Juan, setzten die neuen Seher, ohne es zu wollen, die Tradition ihrer Vorgänger fort und wurden so überhaupt zum Inbegriff derer, die dem Tode trotzten.

Die neuen Seher verbrennen an der Kraft der Ausrichtung, an der Kraft des Willens, den sie durch ein Leben der Makellosigkeit zu einer Kraft der Absicht entwickelt haben. Absicht ist die Ausrichtung aller bernsteinfarbenen Emanationen der Bewußtheit, und darum trifft es zu, wenn man sagt, daß absolute Freiheit zugleich absolute Bewußtheit ist.”

Hier aber entfaltet sich ein Weltbild, wie wir es gerade auch aus dem Buddhismus kennen. Dort wird der sich fortsetzende, änderbare energetische Abgriff zum Bild (=Welt=Inkarnation) zur Wiedergeburt. Die Geburt in unsere oder andere Welten, sowie auch die Wiedergeburt in andere ‘überweltliche’ Bereiche, etwa der Götter, gelten letztlich allesamt als überwindenswert, weil sie ausnahmelos dem ähnlichen Truge und so der ontischen Minderung, der Sterblichkeit unterliegen. Nur die reine Bewußtheit in Ganzheit soll das Ziel sein, im Ausgang einer immerwährenden totalen Glückseligkeit, die nach keinerlei Manifestation mehr verlangt. Meister Eckhart sagt: “… kein Bild öffnet uns die Gottheit noch sein Sein. Denn bliebe irgendein Bild … in dir, so würdest du niemals eins mit Gott.” Und: “Im Sohn werden die Bilder – insofern der Sohn dem Vater gleich ist – wieder in den Vater, aus dem sie geflossen sind, zurückgetragen.”

Verbindung der Welten?

Don Juan Matus: “Immer wenn die alten Seher eine neue Ausrichtung schufen, waren sie überzeugt, sie wären in die unteren Tiefen hinabgestiegen oder in die oberen Himmel aufgestiegen. Sie wußten nicht, daß die Welt wie ein Windhauch verschwindet, wenn die neue, totale Ausrichtung uns eine andere totale Welt wahrnehmen läßt.”

Welt ist Bild und Abgriff aus dem apriorischen Informationsstrom, und mögen die verschiedenen Welten auch alle für sich selbst ‘Bestand’ haben oder alleine existieren (total sein), so verdanken sie ihre Existenz doch der Art und Weise der Wahrnehmung, die sie von ihr aus betrachtet unterschiedlich bedingen. Und diese sind von der Weltseele her dahingehend in Bezugnahmen verknüpft, daß sie Repräsentanz eines Bewußtseins sind, das sich in Vereinzelung in multipler Entwicklung begriffen sieht. Matus selbst gibt immer wieder an, das eigentliche Ziel wäre die Überwindung allen Abgriffes, somit aller Weltenschöpfung. Insofern muß das Bewußtsein in seinem Wachstum zur Überwindung auch entsprechend hierarchisierende Welten formen, die seinem Stand entsprechen. Daß die Seele sich die ihr gemäße Inkarnation verschafft, ist indes eine Grundweisheit der Reinkarnationslehren sowie auch im Neuplatonismus. Mögen die beschriebenen höheren oder tieferen Welten auch ontisch keinerlei Berührung mit der unseren haben (was zu erkunden wäre), so sind sie doch Hervorbringungen, die adäquat das hierarchisierende (Gesamt-) Bewußtsein abbilden, und hierin liegt die Verbindung, die Teleologie – auch unsere Welt ist schließlich Hervorbringung des Bewußtseins in gewisser Verfassung – und genauer besehen ist hier die wahre Lehre von den Begriffen Sein und Welt zu finden.