Veganismus und Naturalismus

Das Problem, daß Vitamin B12 dem menschlichen Körper nicht ohne tierische Nahrung bereitgestellt werden kann, könnte als eindeutiges Indiz gegen den Veganismus verwendet werden: Hätte die Natur für den Menschen eine Ernährung ohne jedes tierische Erzeugnis vorgesehen, käme das Vitamin auch in pflanzlicher Nahrung vor. Indem man diesen Ansatz als Naturalismus (der die Natur zum Grund und zur Norm aller Erscheinungen erhebt), als überkommenes Denkmodell ablehnt, ist dieses Dilemma schnell von der Hand. (Freilich ist nicht von der Hand zu weisen, daß der Kritiker lediglich anhand seiner naturgegebenen Fähigkeiten hieran Kritik zu formulieren befähigt ist.) Man proklamiere also einfach eine Überwindung bzw. die Überwindungwürdigkeit eines als nicht abgeschlossen zu betrachtenenden (evolutionären, sich über die erschaute Natur erhebenden) Prozesses, dessen Richtung und Zweck man in die Eigenverantwortlichkeit des Menschen legt. In Hinsicht auf den Veganismus wird dieser Ansatz (fast) naturgemäß von Atheisten bzw. Materialisten vertreten. Jenen bleibt das Wissen der wirklichen Natur des Menschen allerdings verborgen -wie sich rein positivistisch intervenieren ließe -denn die Quantenphysik hat längst die Beobachtungsabhängigkeit des Körperlichen unter Beweis gestellt; der Atheist aber beliebt in der alten Denkart des naiven Materialismus, (der zuletzt aristotelisch/christlich -atomistisch-konditioniert ist) zu verweilen. Daß ausgerechnet eine Vitaminpille eine Bruchlinie in der Naturbestimmung, eine Scheide vom “Gegebenen” zum Sich darüber zu Erhebenden veranschaulichen könnte, wirkt zuvorderst recht ernüchternd. Die Frage für den Nicht-Materialisten ist hier auch, wie und warum denn ein Gegebenes die Implikation für ein sich über sich selbst erhebendens (in sich selbst) bereitgestellt haben soll und warum dies zu entwickeln ausgerechnet dem Menschen in die Hand gelegt sein könnte.
Eine kurzgefasste idealistische Position hierzu bietet J.G.Fichte an :” Es soll eine neue Natur im Begriffe sich bilden und an die lebendige und tätige eng sich anschmiegen und auf den Fuß ihr folgen. Und jede Erkenntnis, welche die Vernunft der Natur abgerungen, soll aufbehalten werden für den gemeinsamen Verstand unseres Geschlechts.”
Weiterführende Erklärungen hält die Konzeption des neuplatonischen Seinsbegriffes bereit, die ich an anderer Stelle erörtert habe.