Kunst – Sieferle, Schelling

R.P.Sieferle: ‘Kunst ist Macht. In der systemischen Welt horizontaler Beliebigkeiten gilt jede Dezision (die nichts anderes als aus einem persönlichen Charisma fließende Machtausübung ist) nur mehr als sie selbt; gewinnt sie Gewicht nur insofern, als sie sich durchsetzen kann.’
So erschütternd diese Einsicht auch klingen mag, so zutreffend ist sie (gerade für den heutigen Kunstbetrieb). Und mein Zusatz: Der allseits gehegte, insgeheime Wunsch nach Erlösung aus jener systemischen Welt (der auf den Künstler projezierte Dezisionswunsch) führt also zur Minderung der eigenen Möglichkeit, weil der Erlösungsweg nicht selber beschritten wird, sondern weil man den Wunsch nach Erlösung dem ‘Charismatiker’ (bzw. dem, der sich dafür ausgibt) in die Hände zu legen bereit ist (was freilich im Ergebnis kläglich scheitern muss). Der Künstler akkumuliert seine -geborgte- Macht in der Art und Weise, wie der Einzelne und so die Menge die eigene Unterlegenheit oder Unbedeutendheit deklariert.

Freilich handelt es sich hier um eine Betrachtung einer prinzipiellen Travestie des gesamten Kunstbegriffes und also seiner Herabtransformation, ausgehend von einem Idealbegriff, wie er sich zur Veranschaulichung und Gegenüberstellung treffend beispielsweise bei Friedrich Wilhelm Schelling ausborgen läßt:
“Gleichzeitig mit der Vollendung des Produkts ist alle Freiheit hinweggenommen; sie wird sich durch eine Vereinigung selbst überrascht und beglückt fühlen, d. h. sie gleichsam als freiwillige Gunst einer höheren Natur ansehen, die das Unmögliche durch sie möglich gemacht hat.
Dieses Unbekannte aber, was hier die objektive und die bewußte Thätigkeit in unerwartete Harmonie setzt, ist nichts anderes als jenes Absolute, welches den allgemeinen Grund der prästabilierten Harmonie zwischen dem Bewußten und dem Bewußtlosen enthält. Wird also jenes Absolute reflektiert aus dem Produkt, so wird es der Intelligenz erscheinen als etwas, das über ihr ist, und was selbst entgegen der Freiheit zu dem, was mit Bewußtseyn und Absicht begonnen war, das Absichtslose hinzubringt.
Dieses unveränderlich Identische, was zu keinem Bewußtseyn gelangen kann und nur aus dem Produkt wiederstrahlt, ist für das Producierende eben das, was für das Handelnde das Schicksal ist, d.h. eine dunkle unbekannte Gewalt, die zu dem Stückwerk der Freiheit das Vollendete oder das Objektive hinzubringt; und wie jene Macht, welche durch unser freies Handeln ohne unser Wissen, und selbst wider unsern Willen, nicht vorgestellte Zwecke realisiert, Schicksal genannt wird, so wird das Unbegreifliche, was ohne Zuthun der Freiheit und gewissermaßen der Freieheit entgegen, in welcher ewig sich flieht, was in jener Produktion vereinigt ist, zu dem Bewußtsein das Objektive hinzubringt, mit dem dunkeln Begriff des Genies bezeichnet.”

Von diesem Ideal aus läßt sich nun wieder eine Sentenz entwerfen, die den Bogen zu Sieferle schlägt, denn der heutige Kunstbetrieb ist unleugbar -in Zeiten medialer Multiplikation und umfassender Kommerzialisierung – in unerhörtem Maße auf (anti-idealistische) Abwege geraten.

Kunstobjekt
Nach Schellings Philosophie ist es Ziel in der Kunst, das unbekannte Transzendente im Zusammenkommen von bewußtem und unbewußtem Prozeß im Anschaulichen – zum Produkt der Kunst – zu objektivieren. Hierzu ist das Ingenium des Künstlers vonnöten. Mein Zusatz: Der Künstler fungiert hier als der Transmitter für diesen Prozeß. Eine andere Rolle kommt ihm nicht zu. Tritt der Künstler hinter diesem Prozeß hervor, tritt die Kunst augenblicklich zurück. Der Künstler darf daher prinzipiell gar nicht sichtbar werden, ihm gehört keine Aufmerksamkeit.