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Plotin, Castaneda, Sein und Nichtsein

Ein Gespräch zwischen Carlos Castaneda und Don Juan Matus über Eindrücke und Entitäten,  die nach der Einnahme eines schamanischen Entheogens  zu besprechen waren. Konkret ging es um das Erscheinen einer Kreatur, die als  Hüter oder Wärter aufgefasst wurde:
Don Juan Matus: ” Ich habe dir schon gesagt, daß der Wärter zu nichts werden und dennoch vor deinen Augen bleiben muß. Er muß da sein – und gleichzeitig muß er Nichts sein.”
“Wenn du siehst, dann gibt es keine vertrauten Bilder mehr auf der Welt. Alles ist neu. Nichts war schon einmal da. Die Welt ist unglaublich.”
Castaneda: “Wie verschwinden die Dinge? Wie werden sie zu nichts?”
Don Juan Matus: “Die Dinge verschwinden nicht. Sie lösen sich nicht auf, wenn es das ist, was du meinst. Sie werden einfach zu nichts, und trotzdem sind sie immer noch da.”
Wie konstitutiv der Akt des Betrachtens  für unsere Wirklichkeit tatsächlich  ist, daß  Betrachtung also Reduktion,  schließlich ‘Welt ‘ meint und daß Betrachtung transzendierbar, somit Welt transzendierbar ist (der alte Topos der Mystik!), dies ist ein eigentlicher Kern der Lehren des Don Juan.
Aus neuplatonischer Sicht lassen  sich hier folgende  korrelierende Sätze anfügen:
“Das Nichts bedeutet nicht Nichtigkeit, sondern als Nichtsein aller eidetischen Bestimmtheit eine alles Seiende an Seinsrang überragende Weise zu sein.”
“Die denkende Wirksamkeit des Geistes ist das Wirklichsein des Seienden, Dasein als sich selbst in dem Da des Vernehmens halten. “
“Die Denkbewegung trifft nicht auf einen schon vorhandenen Anblick auf, sondern gleich-ursprünglich mit der Denktätigkeit bildet sich die Anblickhaftigkeit, in deren Anschauung der Geist er selbst ist.”
“Zur Denkbewegung gehört die Ständigkeit des vernommenen Anblicks, und nur in der Bewegung des Vernehmens hat das Seiende die Ständigkeit des Gleichbleibens.” (Volkmann Schluck)

Diese Stabilität wird im transzendenten Vollzug “unterminiert”, so daß es möglich ist, hinter die stabile Körperebene zu gelangen, die dadurch aber nicht  im Sinne eines Nicht-Seins  die Dinge auflöst, sondern in ihrer Potenz zur Dinglichkeit erkennbar wird, die vor der reduktionistischen Betrachtung liegend nichtend empfunden werden kann und aber im Falle, daß sie doch  in gewisser Form selber noch Objekt ist und vor der Nichtung liegt,  im Aufstieg des Sehens/Erkennens Steigerung des Seins, Verallgemeinerung (auch:Zukunft) meint.
Volkmann Schluck: “Der Sinn des Nichtseins ist nicht Vernichtung des Seinsgehaltes, Minderung der Wirklichkeit von etwas, sondern es ist selbst eine Weise der Sichtbarkeit des Seienden, das sich immer als unterschiedene Vielheit zeigt.”

Max Weber, Protestantismus

In der Formulierung der protestantischen Lehre, die den Menschen ursächlich als allein  gnadenabhängig deklariert, wird nun als höchstes Ziel für das hiesige Dasein eine Gnadengewißheit ausgegeben. Hierin zeigt der lutherische Grund der protestantischen Ansicht in Folge zugleich ihre Unentschlossenheit und ihren Mangel an theologischer Konsequenz.
Max Weber: “Es wird einerseits schlechthin zur Pflicht gemacht, sich für erwählt zu halten und jeden Zweifel als Anfechtung des Teufels abzuweisen, da ja mangelnde Selbsgewißheit Folge unzulänglichen Glaubens, also unzulänglicher Wirkung der Gnade sei… Um jene Selbstgewißheit zu erlangen, wurde als hervorragendes Mittel rastlose Berufsarbeit eingeschärft. Sie und sie allein verscheuche den religiösen Zweifel und gebe die Sicherheit des Gnadenstandes.”
“Daß die weltliche Berufsarbeit zu dieser Leistung für fähig galt, -daß sie, sozusagen, als das geeignete Mittel zum Abreagieren der religiösen Angstaffekte behandelt werden konnte…” (Max Weber)
Die Arbeit hat hier also neben der Gnadenvergewisserung noch die zweite Funktion der glaubenspraktischen Disziplinierung. Kritisch anzumerken ist hier bereits,  daß schon die Proklamation der eigenen Erwählung einen Austritt aus der Gnadenkonzeption markiert  und eine prinzipiell unautorisierte Selbstermächtigung darstellen muß.
Was Max Weber als innerweltliche Askese  benennt, kommt dabei in der praktischen Alltagsimplikation dem zweckunterworfenen Leben tatsächlicher selbserlöserischer (spiritueller) Wege mitunter gar nicht wenig nahe. Allerdings fehlt hier der Inhalt zum Transzendenten als Werksvollzug. Das Werk wird bei der protestantischen  Askese (oder Pseudoaskese) ja quasi beliebig, da  es nicht Gnade bedingt, sondern lediglich Gnade bezeugt. Hierin zeigt sich die Grundposition des Theismus als problematisch: Man soll keinen  (wesensbezogenen) Anteil am Geistigen bzw. Göttlichen haben, Sanktion (Gnade), nicht etwa Aktion  ist Mittel des  spirituellen Vorwärtskommens  und Erfolges.  Wegen der für unmöglich gehaltenen Befähigung zur eigenen Erhebung muß sich ein nichtsdestotrotz zur Betätigung drängender Impetus (als eine positive Sanktion Gottes verbrämt)  dann  im Materiellen, im weltlichen Erfolg abbilden.
Max Weber hat  nachvollziehbar dargestellt, daß hierin  eine entscheidende Wurzel zum  Erfolg des modernen Kapitalismus angelegt ist. 
Im Verlauf entwickelt  die protestantische Ansicht nun aber doch die Vorstellung, daß eine rationale Methodik einen Weg eröffnen könne, Gott näher zu kommen – somit soll nun sehr wohl  eigentätig  an der Erlösung mitgewirkt werden. Auch in dieser Entwicklung wird der Gnadengedanke verlassen,  ich deute dies durchaus als einen  Hinweis darauf, daß der (bei Luther angelegte) religiöse Ernst, der ja  auf den geistigen Kern des Menschen verweisen muß,  nun aber  unter jeden Umständen zur ihm ureigen angelegten  Entwicklung  kommen will –  hier wird  also zugleich die lutherische Prämisse (der Unterwerfung) transzendiert: Wollte Luther mit seinem sola gratia den Glaubensernst betonen, muß dieser im Vollzug gerade das Gnadenkonzept übersteigen. Die Inkonsistenz liegt darin, daß man einen  Glaubensernst erstrebt, aber die eigentliche Verortung und echte Möglichkeit  zu dieser Ernsthaftigkeit – die innere Teilhabe am göttlichen Prinzip – nicht anerkennt, diese aber  – nun unter (falschen) theologischen Prämissen verzerrt- doch ihre Eigenwirksamkeit zu entfalten beginnt.
Weiter Max Weber: “Die völlige Ausschaltung …aller jener Fragen nach dem Sinn der Welt und des Lebens verstand sich für den Puritaner ganz wie von selbst. …Und übrigens im gewissen Sinn für die nichtmystische christliche Religiösität überhaupt.” So bleibt die eigene Annäherung prinzipiell eine blinde. Und doch: “Ein waches, bewußtes, helles Leben führen zu können, war das Ziel.”  (Weber) Dieser Satz könnte auch neuplatonisch sein, würde sich das Helle tatsächlich spirituell, durch eine ontische Hebung herausarbeiten, deren Nicht-Vollbringung  weder durch die Betonung einer an das Neue Testament angelehnten praktischen Ethik  der späteren protestantischen Sekten (und hiermit wiederum durch ein Übersteigen der Gnadenkonzeption)  noch durch subjektive, suggerierte Erweckungshysterien kompensiert werden konnte.

Flüchtige Welt

Konversation zwischen Carlos Castaneda und Don Juan Matus über die Einnahme eines Entheogens zur Erweiterung der Sicht:
“Warum muß man rauchen? Warum kann man nicht einfach von sich aus sehen lernen? Ich habe ein sehr ernstes Verlangen, genügt das nicht?”

“Nein, das genügt nicht. Sehen ist nicht so einfach, und nur der Rauch kann dir die Schnelligkeit geben, die du brauchst, um einen Blick auf diese flüchtige Welt zu werfen. Sonst würdest du nur schauen.”
“Was verstehst du unter einer flüchtigen Welt?”
“Wenn du siehst, dann ist die Welt nicht so, wie du jetzt glaubst, daß sie sei. Vielleicht kann man von selbst lernen, diese flüchtige Welt zu erkennen, aber das ist nicht gut, weil der Körper der Belastung nicht gewachsen ist. Mit dem Rauch dagegen leidet man nie unter Erschöpfung. Der Rauch gibt einem die nötige Schnelligkeit, um die flüchtige Bewegung der Welt zu erfassen, und gleichzeitig hält er den Körper und seine Kraft intakt.”
Plotin:(Existenz einer Vielheit von Formen): “Die so geartete Seele nun, die in eine entsprechende Materie eingegangen ist…, ist der Mensch; und im Körper… hat sie menschliche Gestalt… und die dazugehörigen rationalen Strukturen bzw. Charakterzüge, Dispositionen und Fähigkeiten – alles in abgeschwächter Form, weil dieser Mensch nicht der erste ist. Und dementsprechend hat sie auch andere sinnliche Wahrnehmungen, die ganz klar zu sein scheinen, aber im Vergleich mit denjenigen, die vor ihnen da sind, abgeschwächt und Abbilder sind. Und der Mensch oberhalb von diesem gehört dann bereits zu einer göttlicheren Seele, die einen besseren Menschen und klarere Sinneswahrnehmungen hat.” (!)
Der Physiker David Bohm:
“Ich vertrete folgende Ansicht: Die Erklärung des Seins liegt weit außerhalb der Grenzen der Wissenschaft. Es dehnt sich gewissermaßen aus. Die Raumzeit die wir kennen, ist nur ein Teil des Seins. Daher glaube ich, dass es eine verborgene Dimension gibt. Was die Wissenschaftler verstehen können, sind die Ordnungen, die an die Oberfläche getreten sind. In gewissem Masse können wir die Gesetze verstehen lernen, die in dieser sichtbar gewordenen Ordnung herrschen. Aber weil diese Gesetze alle aus einer verborgenen Ordnung kommen, ist die Frage nach dem Ursprung einfach sinnlos. Das ist etwa ähnlich, wie wenn wir ein Fernsehprogramm in der Mitte einschalten und dann fragen, was vorher passiert ist. Jedenfalls liegt uns die an die Oberfläche getretene Ordnung vor Augen und um sie besser zu verstehen müssen wir uns fragen, woraus sie sich entwickelt hat. Damit wird aber ein Existenzbereich jenseits der Wissenschaft betreten. Möglicherweise dringen die Wissenschaftler damit in einen religiösen Fragenbereich ein.”

Hierzu meine Bemerkung: All dies Ferne und Ungeklärte wird ja zukünftig  noch zur Wissenschaft, wird empirisch erschließbar werden! Daher bedeutet die begriffliche Verfestigung einer Aufspaltung in  Religion und Wissenschaft zuletzt einen hinderlichen Dualismus (des Denkens). Der echte Wissenschaftsbegriff  ändert vielmehr den Begriff der Religion und ebenso geschieht dies umgekehrt: Die eigentliche Definition von Religion  impliziert einen viel  kompletteteren Wissenschaftsauftrag bzw. -horizont als gemeinhin proklamiert und angenommen.

Tolstoi, das Böse, Quietismuskritik

” Eben im Zusammenhang mit dieser Weltverleugnung ensteht auch die Forderung nach Enthaltsamkeit von dem aktiven und verbietenden Kampf gegen das Böse: Die äußere Welt liegt im Bösen, und in dessen Erkenntnis ist der Mensch besonders eingeschränkt, deswegen muß er nach und nach aus ihm seinen Willen entfernen, und das Unausweichliche geschehen lassen.”
(I. Iljin über Tolstoi)

Tolstoi: ” Das Vorwärtsschreiten der Menschen zum Guten wird nicht durch die Marternden bewirkt, sondern durch die Gemarterten. Gleichwie Feuer nicht Feuer löscht, so kann Böses nicht Böses ersticken. Nur das Gute, wenn es auf das Böse stößt und von diesem nicht angesteckt wird, besiegt das Böse.”

Tolstoi zitiert in seiner Zitatensammlung “Für alle Tage” aber auch Konfuzius: “Es ist Feigheit, wenn man weiß, was sich gebührt und es nicht tut.” Insofern ist hier der Indifferenz und einem  Nicht-Tun, einem Sich-Nicht-Verhalten gegenüber dem Ungebührlichen denkbar ein Riegel vorgeschoben.
Tolstoi: ” Und wenn dieser Fortschritt ein langsamer ist, so ist das nur, weil die Klarheit, die Einfachheit, die Verständlichkeit und die Verbindlichkeit der Lehre Christi, den meisten Menschen verborgen wird, verborgen auf die schlaueste und gefährlichste Weise, unter einer fremden Lehre, die fälschlich mit dem Namen der Lehre Christi bezeichnet wird.”
Kannte er aber die wahre Lehre?
In den Apokryphen von Nag Hammadi finden wir den jesuanischen Auftrag in aller Kontur, man kann sagen – in besonderer Schärfe formuliert. Jesus sagt dort:
“Wer mir nahe ist, ist dem Feuer nahe. Und wer mir fern ist, ist dem Königreich fern.” Und: “Ich habe Feuer auf die Welt geworfen und siehe, ich hüte es, bis es lodert.” Und: “Vielleicht denken die Menschen, daß ich gekommen bin, um Frieden auf die Welt zu werfen, und sie wissen nicht, daß ich gekommen bin, um Spaltungen auf die Erde zu werfen, Feuer, Schwert, Krieg.
Gerade aus dem Verständnis einer wesenhaften Untrennbarkeit der verschiedenen Daseinsbereiche (Tolstoi ist noussphärischer, platonisierender Christ) läßt sich  keine schlüssige weltflüchtige oder  quietistische Haltung formulieren. Man kann zwar (berechtigt) das Interesse von der Gestalt der Welt abziehen, man kann jedoch nicht die ja alle Welt durchwirkenden universalen (geistigen)Gesetze hinter sich lassen und  somit die hieran gekoppelte  Verantwortung fliehen (indem man die hiesige Welt in ihrer Gestaltung als gesondert betrachtet). Der Mensch wirkt in ontologischer Teilhabe  schon gegenwärtig  in alle Bereiche (und ist umgekehrt Wirkung seiner höheren Aspekte), ist sogar (für ewig)  nur aktual im Vollzug des sich Verhaltens zur Gegenwart  eigentlich tatsächlich seiend.
Fichte sagt: “Nicht erst, nachdem ich aus dem Zusammenhange der irdischen Welt gerissen sein werde, werde ich den Eintritt in die überirdische erhalten; ich bin und lebe schon jetzt in ihr, weit wahrer, als in der irdischen.”
Und Angelus Silesius“Die Seel’ , ein ew’ger Geist, ist über alle Zeit: Sie lebt auch in der Welt schon in der Ewigkeit.”
Es liegt hier also  keine Diskontinuität vor. Und darüberhinaus: Auch ein evolutionäres Voranschreiten hat ja  durchaus seinen vehementen,  kämpferischen  Aspekt, der nämlich in seiner Stetigkeit und Unnachgiebigkeit, seinem unbedingten Wunsch zur Entwicklung besteht, was eben aus der naturgegebenen Anlage zur Aufwärtsbewegung resultiert.  Und so wie man sagen kann, daß  der tatsächliche  und einzige Ausgriff zur Ewigkeit die Beziehung zum Gegenwärtigen bezeichnet, so ist eben auch nur die Unmittelbarkeit der sittlichen Positionierung und ihr entsprechender Vollzug in all seiner Tatsächlichkeit und Gegenwärtigkeit  (zum Geistigen) evident. 
Der Kontrapunkt zum ‘Sich Martern lassen’ meint nun nicht ‘Andere martern’, sondern vielmehr das Wahre zu mehren (einem Brand gleich, man kennt dieses Wort von Meister Eckhart)  und nicht die Schmerzen zu scheuen, die dies einem  selbt, aber eben auch Anderen bereitet.
Die Alternative  wäre ein Gewährenlassen der Lüge, des Falschen, des Bösen  (in persona also des Teufels) und somit die Hemmung des individuellen und universalen Erlösungswerkes unter Negierung der eigenen Verortung und Verantwortung – also unter einer Unterlassung – die so  eben gegen das Gute gerichtet – auch in ihrer Passivität als ‘böser Vollzug’ benannt werden kann.

Baum der Erkenntnis

“Eine Erklärung dafür, warum der ‚Todesbaum’ überhaupt im Paradies steht und damit die ursprüngliche Harmonie gefährdet, warum der ‚Ungehorsam’ oder die ‚Ungerechtigkeit’ des ‚Urpaares’ solche Folgen für die ganze Menschheit haben kann und wie die Sündenfall-Erzählung damit vereinbar ist, dass auch Tiere sterben und das Los von Mensch und Tier gleich ist, unabhängig von aller ‚Gerechtigkeit’ (vgl. Koh 3,16-21), gibt weder das Weisheitsbuch noch der Katechismus der Katholischen Kirche.
Den Namen Baum der Erkenntnis von Gut und Böse erhält der Baum in Gen 2,9 im Vorgriff auf das Versprechen, das die Schlange Adam und Eva macht: „Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse” Damit ist aber gerade nicht, wie H. Junker von 2 Sam14,17 zeigen will, „ein übermenschliches, an Allwissenheit grenzendes Erkennen […], wie man es dem ‚Engel Gottes‘ zuschrieb”, gemeint. Vielmehr bedeutet die gewonnene ‚Erkenntnis’ den Verlust der Einsicht der göttlichen Weisheit zugunsten eines bloßen irdischen Vielwissens, wie es in dem animalischen „Tierfell” (Gen 3,21) zum Ausdruck kommt. „In der Struktur dieses Wortes [erwa = Scham, Schande] ist der Begriff ‚or’, 70-6-200, Fell, aber auch ‚iwer’, blind, zu erkennen, denn ‚erwa’ hat mit ‚Blindheit’ zu tun.” (Friedrich Weinreb)
Zu solchen  gewohnten vagen Einlassungen und Mutmaßungen  läßt sich hier alternativ  eine ganz andere – man möchte sagen: eine fast beklemmend einfache oder offensichtliche  Deutung anbahnen, von der ich nicht einmal weiß, ob sie jemals versucht wurde:
Der Baum der Erkenntnis  steht schlicht für das ‘religiöse Entheogen’, für die psychotrope schamanische Pflanze, die in verschiedener Art allen Völkern bis zurück zur Urzeit bekannt war und daher prinzipiell an der Wiege jeder Religion stand – Schamanismus ist Urreligion, im historischen Sinne, aber auch im definitorischen Sinne einer Unmittelbarkeit und Unvermitteltheit von transzendentem Inhalt- der erst nachfolgend institutionell zum Glaubensinhalt herabgesetzt wurde. Der Gebrauch der Entheogene war es , der durch eine Änderung der erlebten Bewußtseinsinhalte bewirkte, daß man zu einem Wissen um weitere Existenzebenen kam, daß man seinerzeit erkannte, daß die  eigene Raumzeit transzendenzfähig ist –  im Sinne einer Teilhaftigkeit an einer so zu bezeichnenden  metaphysischen Empirie. Die in die Hochkultur eingegangenen Formen dieser entheogenen Sakramente kennt man unter  den Begriffen wie Soma (Vedische Kultur), Haoma, (zoroastrische Religion), Ambrosia für die griechische Kultur (ethymologisch verwandt mit Amrita, einer anderen indischen Bezeichnung für  Soma) oder weiter nur als teils Benannte oder ganz Ungeklärte   für die griechischen Mysterien wie etwa diejenigen von Eleusis. Gemein ist dem Gebrauch dieser Substanzen, daß sie dem Probanden Unsterblichkeit verleihen oder einen Einblick in die göttlichen Sphären  ermöglichen. Der Ausruf  der  Mazdaisten unter der Wirkung von Haoma hieß: “Wir haben das Land der Götter gesehen!”
Es handelt es sich bei der biblischen Erzählung nun also entsprechend um die Zurückweisung des Entheogens, und somit also   um eine Sanktionierung der Teilhabe am geistigen oder feinstofflichen Raum, an den Aufwärtshypostasen, (Hypostasenfeindlichkeit -oder Hypostasenfurcht!) was auch im späteren Theurgie-und Magieverbot der Kirche zum Ausdruck kam, nur Gott allein soll das Ziel aller Bemühung sein – wesenhaft bleibt Gott aber für alle Ewigkeit unerreichbar,  und zugleich ist er personalisiert, daher meint der Aufstieg ein Passives, ein Erlöstwerden, kein Entwickeln und selbstätiges Erschließen.  Die Hypostase der Vielheit, der eigentliche  Konfigurationsraum der Welt(en), wird zu einem  Gebiet der Restriktion, soll gar keine Bedeutung, kein Interesse haben. Diese Verwerfung und Entwertung  begegnet uns  durch die Zeit wiederholt, wie etwa in der Schule der Rosenkreuzer (die hier von der Spiegelsphäre sprechen)  sowie vorher auch schon (in anderer Intention)  in der Deutschen Mystik bei Meister Eckhart oder gerade auch im Buddhismus.
Die Konsequenz aus dem Genuß des Baumes (der Fall des Menschen)  ist hier also keineswegs als eigentliche Wirkung  seiner Frucht zu begreifen, sondern seine tatsächliche Wirkung -die also sehr wohl Erkenntnis im göttlichen Sinne meint,  in der Abweisung dieser Tatsache  irrt Weinreb fundamental – wird durch die väterliche Sanktion genau umgekehrt. Insofern könnte man hier (über die Sanktionierung der Hypostasenschau hinaus) von einer antignostischen Parabel sprechen, einem  ideologisierenden Kniff, der die Zurückweisung ontologischer Teilhabemöglichkeit proklamiert und unter Strafe stellt – sogar als das Vergehen schlechthin erklärt.  An die Stelle der eigenen spirituellen Option tritt ein Gottesbild, das für Untergebenheit, Devotion,  die Abhängigkeit einer  Vater-Kind Relation steht.  (Was von Störig als typisch hebräisches Denken bezeichnet wurde.)
Handelte es sich hier um ein  Versagen in die Einsicht der Dinge oder geht es noch viel simpler um schlichten Priesterbetrug, also dem Vorenthalt des Sakramentes vor der Menge zur eigenen Machtabsicherung?
Auch in den Apokryphen finden wir übrigens eine Warnung  für die höheren Bereiche, die aber  kein restriktives Konzept nach sich zieht, sondern als praktische Handlungsanweisung  zum ‘feinstofflichen Vollzug’ aufzufassen ist: “…hüte Dich vor den Engeln der Armut und den Dämonen des Chaos und all denen, die dich umgarnen, und hüte dich vor dem tiefen Schlaf und der Einengung der Innenseite der Unterwelt.” Und nun aber: Steh auf und erinnere dich, denn du bist es, der gehört hat, folge deiner Wurzel.” Man beachte hier also gerade die platonische Implikation zur (spirituellen) Freiheit und  Eigenverantwortung.

 

Traditionalismus und Gegenwart

Felix Herkert: “Dem gewöhnlichen heutigen Menschen muß die Gedankenwelt des Traditionalismus zunächst unweigerlich fremd erscheinen, steht sie doch im Grunde allem, was der moderne Mensch sich und seiner Epoche positiv anrechnet, ablehnend gegenüber  und beruft sich demgegenüber auf Werte, die der moderne Mensch als ‘erledigt’ oder ‘überwunden’ glaubt. … Bevor man sich ein allzu schnelles – und meist negatives – Urteil zu einer Denkrichtung bildet, das zumeist auf eine Verurteilung als ‘antimodern’, ‘reaktionär’, ‘kulturpessimistisch’ oder’esoterisch’ (im pejorativen Wortsinn) – häufig einhergehend mit einer Überakzentuierung der politischen Implikationen des ‘Antidemokratismus’ und ‘Antiegalitarismus’   hinausläuft, sei folgendes einmal grundsätzlich ins Gedächtnis gerufen: Wenn man sich das geistige Profil der traditionalen Denker vor Augen stellt, fällt auf, daß es sich bei ihnen zumeist um außerordentlich begabte und vielseitige Menschen mit außergewöhnlichen intellektuellen Fähigkeiten – nicht wenige von ihnen beherrschten z.B. ein Dutzend Sprachen – und einer oft schier universalen Kenntnis der spirituellen Überlieferung verschiedenster Traditionen handelt, die zumal nicht selten zu den führenden Repräsentanten ihres Fachgebietes zählten.”
Diese Ausführung  mag den Traditionalen zu gewisser Ehre gereichen, aber gleichzeitig kommt es auf tieferer Ebene hierauf nicht – oder besser: nur in sekundärer Weise –  an.
An einer Fremdheit trägt der Traditionalismus in gewisser Weise selber seinen Anteil, falls er  nicht dem Diktum der Überzeitlichkeit der Kernlehre  folgend Bezugspunkte für heute erschließen kann oder will – eben um   in der Tradition der Alten stehend-  allerdings derer, die auch für heute noch Gültigkeit beanspruchen können -einen Fortbestand (des Gewußten) in die Zukunft zu erwirken. Um ein Beispiel zu nennen, wären etwa Heisenberg oder von Weizsäcker die heutigen Bürgen für die Lehre Platos von der nichtapriorischen Masse der Teilchen oder der Materie als solcher.  Es wäre also sozusagen eine Schwächung der eigenen Position, würde man  unaufhörlich um die  geometrische Symbolik in Platos Naturlehre kreisen, und sie nicht mit heutiger Evidenz  anfüllen und ergänzen zu wollen bzw.  aus einem Mißtrauen gegen die Wissenschaft überhaupt hiervon gar nicht erst Kenntnis haben.
Der ganze spezifisch westliche Weg der Rationalisierung (auch des Sanktums)  muß zuletzt auf eine Synthese der heutigen Ansprüche  mit der  einst mythisierten Unmittelbarkeit, die mit einer  unverifizierten Empirie einherging und die nur subjektiver bzw.  intersubjektiver Erfahrung nach Bestand hatte und in Folge gar nur symbolisch kolportiert wurde, hinauslaufen.  Nur so kann der Mensch in dem gesamten Fundament seiner  Befähigung zu seinem  zweckgerichteten (individuellen und somit auch globalen) Aufgang  zu erfassen sein. Es soll  heute -genügend Bewußtsein und Bereitschaft hierfür  vorausgesetzt- zu einer Zusammenkunft  von Intuition, Ahnung und Ratio, Mythos und Buchstäblichkeit, schließlich von immanentem und transzendentem Inhalt  kommen – ohne Abwehr, Abscheidung oder  Auslassung irgendeiner Komponente der zur Entfaltung bestimmten teleologischen Anlagen. Hier wird auch das Verständnis von einem esoterischen Inner Circle obsolet. Tatsächliche Mystagogen -wie Meister Eckhart oder auch Thomas Müntzer ´-haben sich in ihrem Wissen um die Universalität des Werkes für eine ‘Demokratisierung’ der Einsicht und des Wissens gerade an das nicht-gelehrte  Volk gewandt .  Und heute ist es noch unabdingbarer,  das Esoterische in die  profan-immanente Breite diffundieren zu lassen, um das Immanente von Innen zu entwickeln und es letztlich seiner eigentlichen (transzendenten) Art nach begreifbar zu machen  (was einer Sakralisierung des Raumes gleichkommt).  Daß dies selbstredent nicht alleine mit intellektueller Absonderung -und schon gar nicht durch einen  ästhetisierenden und historisierenden Meta-Diskurs bewerkstelligt wird, das bringt nicht zuletzt der bekannte Traditionalist  Rene Guenon mit der Bemerkung zum Ausdruck, daß der Traditionale einen Lebensweg zu beschreiten hat,  der ein Studium ‘von innen’ meint.

Gedanken zu Evola

Julius Evola: “Wesensbestimmend für die Methode, die wir, im Gegensatz zur profanen-empirischen oder kritisch-intellektualistischen Betrachtung der modernen Forschung ‘traditionsgebunden’ nennen wollen, ist die Hervorhebung des universalen Charakters einer Lehre oder eines Sinnbildes, indem es mit entsprechenden Elementen anderer Traditionen in Verbindung gebracht wird .”
Hier schon könnte der Eindruck entstehen, die in diesem Sinne verstandenen Traditionen – die ich  allesamt in ihrer Wesensart als gnostisch bezeichnen will –  wären ihrem Verständnis nach von damaliger Warte nicht auf der Höhe ihrer Zeit gewesen bzw. sie stünden in einem Gegensatz zur Gegenwart und ihrer kritischen Methode. Ein Zitat von Hans Leisegang: “Die Gnostiker waren zu ihrer Zeit durchaus moderne Menschen. Die Gründer der einzelnen Sekten waren Gelehrte und Philosophen, die die ganze Wissenschaft ihrer Zeit in sich aufgenommen hatten, und ihre Weltanschauung stand in keinem Widerspruch zur wissenschaftlichen Erkenntnis, die sie nicht abwiesen, in der sie auch keine Gefahr für den Glauben sahen, sondern die sie nach der religiösen Seite hin ergänzten und vertieften.”
Dies offenbart einen gewichtigen Aspekt  für das Verständnis jenes Traditionalen, das eben ein in der Relation zur Moderne, zur Empirie abgesetztes Verhältnis gar nicht zulassen kann, weil die angesprochene Universalität der ‘reinen’ Lehre nur im Kontext ihrer Ratio-tauglichen Bewährung  und unter Anlegung aller  modernen Instrumentarien und aller kritischen Methode eine ihr ja ureigen inhärent zeitlose und sich höchst logisch entfaltende  Gültigkeit in Anspruch nehmen muß. Es existiert dabei  kein Widerspruch zwischen Tradition und Moderne, zwischen Mythos und Ratio (mythisierendem und rationalem Mensch), zunehmend auch keine Dualität von Geheimwissen und Profanwissen(schaft). Alles kommt und fließt zusammen in das Werk, den Vollzug der Rückexplikation der inkorporierten Hypostase.

Evola: “Damit wird das Vorhandensein eines Bedeutungsgehaltes festgestellt, der höherstehend und ursprünglicher ist als jeder seiner unterschiedlichen und doch gleichbedeutenden symbolischen Ausdrucksweisen , wie sie den Kulturen der verschiedenen Völker eigen sind.”
Prinzipiell ein Plädoyer zur Überwindung des Symbols?  Die symbolisierte Kolportage meint ja in gewisser Hinsicht schon eine Entfernung – eine Ent-Sinnung, eine Scheidung. Das Symbol  wird zur  Repräsentanz ohne die Möglichkeit zum verlässlichen Rekurs , es steht alsbald für sich selbst und entbehrt des Inhaltes, – es bedarf gar keines Inhaltes, keiner Korrelation zu seinem (eventuell gar nicht wesenhaft wahren) ursächlichen Gehalt, da es schon aus sich selbst heraus nur als veräußerte Form lebensfähig ist  und  hierbei aber die Zugänge zum Eigentlichen durch die Allgemeinheit und Unbeweglichkeit sowie die  Fraglosigkeit seines Charakters abblockt.

Weiter Evola: “Außerdem kann die eine Tradition mehr als die andere einem gemeinsamen Bedeutungsgehalt vollkommenen und durchsichtigen Ausdruck verliehen haben: so bildet dieses vergleichende Verfahren die fruchtbarste Methode, Ideen zu erfassen und in metaphysischer Reinheit zu begreifen.”
Diese Aussage kann allerdings nur echte Gültigkeit beanspruchen, indem man proklamiert, daß zu keiner Zeit und an keinem Ort die eigentliche Intention je in Reinform ausgesprochen wäre. Evola schont wohl  alle Offenbarung, er sieht offenbar nicht, daß Offenbarung schon im Beginn irrigen Charakters  und Inhaltes   (oder schlicht an verschiedenerlei Intention gebundener Betrug) sein kann. Zudem ist gerade geschichtliche Religion schon in ihrer ursächlichen Kanonisierung  ein Anthropomorphismus, Menschenwerk, oder gar ein Irrweg, der so falsch beschritten wurde, daß es müßig wäre, in diesem Labyrinth zurückzugehen um wohl doch nie  an der richtigen Stelle herauszufinden. Die Katharer sagten über das christliche Dogma: “Die Kirchenväter stehen schon ganz in der falschen Richtung und werden allesamt abgelehnt, sie sind wie die Vogelfänger, die Tierstimmen nachahmen” (A. Borst)
Zur Reduktion der Religion auf ihren esoterischen Kern (so sie überhaupt einen brauchbaren esoterischen Kern aufweist): Man erwehrt sich mitunter nicht des Eindruckes, daß man eine spirituelle Vakanz im Nachhinein esoterisch  zu verbrämen gewillt ist und einiges allegorisch so weit herbeibiegt, bis das Ganze eine nachträgliche tiefere Rechtfertigung erhält (wohl auch um eigene kulturelle Präferenzen gegen Kritik zu konsolidieren) – dabei bedeutet  die Reduktion der Religion auf ihren (wahren) Kern eben zugleich nicht weniger als die Zurückweisung des Dogmas, das aber diese Religion schon so weit ausmacht, daß es gar als alleine konstitutiv erachtet werden muß. Was aber etwaige postkanonische spirituelle  Rudimente betrifft: Von einem Rest einer Ruine auf das ursächliche Haus zu schließen, muß wohl ab einem gewissen Grad der Zerstörung ganz  unmöglich werden.
In diesem Sinne auch Schopenhauer: “Die Versuche, den Theismus vom Anthropomorphismus zu reinigen, greifen, indem sie nur an der Schale zu arbeiten wähnen, geradezu sein innerstes Wesen an: durch ihr Bemühen, seinen Gegenstand abstrakt zu fassen, sublimieren sie ihn zu einer undeutlichen Nebelgestalt, deren Umriß, unter dem Streben, die menschliche Figur zu vermeiden, allmälig ganz verfließt; wodurch der kindliche Grundgedanke selbst endlich zu nichts verflüchtigt wird.”

Felix Herkert: “Man könnte das hier beschriebene’traditionsgebundene’ Vorgehen als komparatistisch verfahrende Hermeneutik der Einheit bezeichnen, insofern es 1) ein ‘vergleichendes Verfahren’ ist, das jedoch 2) auf die ‘Hervorhebung des universalen Charakters’  eines jeweiligen Symbols bzw. einer Doktrin abzielt. Den privilegierten Gegenstand dieses komparatistischen Verfahrens bilden Symbole, Mythen, Heilige Schriften, Weisheitstexte, aber auch als folkloristisch zu bezeichnende Überlieferungen verschiedener Traditionen, die in ihrem Wesen als Ausdruck überzeitlicher Wahrheiten betrachtet werden. Als eigentlich erfahrungsmäßige Basis dieser Schriften, Mythen und Symbole wird eine überrationale, als intuitiv zu bezeichnende Erkenntnis postuliert, deren Veräußerlichung sie letztlich darstellten.”

Auch dieser Satz erscheint mir zwar berechtigt (störend ist allerdings die Weigerung zur Evidenz der modernen Naturwissenschaft sowie  Naturphilosophie oder Wissenschaftstheorie),  und doch ist er gleichzeitig zu diffus, zu nivellierend und relativistisch und daher nicht zielführend genug . Die Trennung verläuft schließlich nicht alleine zwischen  rationalistischer Moderne und Glauben (man soll zumal wissen, nicht glauben), sondern gerade  auch zwischen Glauben und FALSCHEM Glauben, als dessen Ausfluß gerade seine  uns heute so stark befassenden säkularen Heilsderivate zu bezeichnen sind! In diesem Sinne schließe ich mich der elementaren  Kritik  durch Spinoza an (die aber  doch die Evidenz eines allwaltenden Göttlichen in Korrelation  mit der höchsten Vernunft anstrebt, – ich behaupte hier, das gegenwärtig Profane, das  der Traditionale sieht, ist lediglich das unsakralisierte Sanktum, daher kann hier nicht von einem Dualismus oder einem Antonym gesprochen werden! Yirmiyahu Yovel also über Spinoza: “…die geschichtlichen Religionen (vor allem Judentum und Christentum) sind die größten Hindernisse auf dem Weg zu klarer, philosophischer Erkenntnis und allmählicher Einsicht in das Prinzip der Immanenz.” (Im Kontext verstehe ich Immanenz als Immanenz der Transzendenz ) Die rationaliätswidrige Kraft, die Descartes dem ‘Vorurteil’ und der Tradition im allgemeinen zuschreibt, die wie ein Schleier das natürliche Licht der Vernunft verdunkeln, legt Spinoza mutiger und radikaler insbesondere den geschichtlichen Religionen zur Last, ihren Dogmen, Bildern und eingewurzelten Überlegungen. Daher muß aller positiven Philosophie der Immanenz eine Kritik dieser Religionen vorausgehen, um das Bewußtsein von transzendentalen Bildern freizumachen und um für seine Erweckung (oder seine Aufklärung) den Boden zu bereiten, damit es dem Ruf der immanenten Vernunft folge. Mit anderen Worten, Verunsicherung und Skepsis in Bezug auf die geschichtliche Religion sind notwendige Voraussetzungen, um zu wahrer Erkenntnis und durch diese zu einem lebenswerten Leben, ja sogar zur Erlösung zu gelangen.”

Traditionalismus und Erinnerung

Felix Herkert: “Primat der Erkenntnis, der von allen Traditionalisten so stark gemacht wird: Erkenntnis meint hier aber wesenhafte Erinnerung und insofern ist der Traditionalismus eine Erinnerungsbewegung, in der einerseits das Erinnerte (bzw. Verinnerte) zugleich verwandelt bzw. anverwandelt wird. Und in dieser Erinnerung des Nicht-Vergesslichen, wahrheitsbürgenden Grundes der Tradition darf Erinnerung nicht als äußerlicher Vorgang im Sinne eines bloßen Ins-Gedächtnis-Rufens beliebiger Inhalte, sondern als ein den Vollziehenden verwandelndes Geschehen begriffen werden.”
Dies ist alles richtig, aber man bleibt hier doch  zu sehr in der Andeutung, man verharrt im Schattenhaften einer eigentlich real gemeinten  Ansicht (das Erinnerte ist -dies sei hier nur vorab erwähnt-  genauer besehen eine Aussicht in die Zukunft) , man verbleibt mitunter gar beim Symbol, offenbar weil man  über die Andeutung hinaus keine wirkliche oder nur eine sehr diffuse Vorstellung von dem entwickelt – entwickeln will? – ,  was eigentlich erinnert werden soll  und was dieser Vollzug  dann lebenspraktisch tatsächlich meint.  Platon spricht im Menon aus, daß die Seele alles innehatte und sich dessen gewahr zu werden hat, indem sie sich erinnert, “was lernen heißt”. Was kann dies konkreter bedeuten? Aus Sicht des platonischen monistischen Idealismus geht es um die Rückexplikation oder den Wiederaufstieg der verkürzten Seelendisposition zurück zu ihrer hohen Herkunft,  zu ihrem eigentlichen höheren Sein und Selbst – hier  erschließt sich ein ‘dynamisierter Dualismus’ (der Dualismus von Leib und Seele ist natürlich  zuletzt viel älter als Platon, hier sei z.B. die Orphik genannt(…die -weitergedacht- auf die ‘vorkulturelle’ Dimension des Gemeinten verweist).
Zitiert man nun zum Beispiel  einen Satz der gnostischen Katharer, wird die Disposition des Seelischen etwas plastischer: “Die Menschenseelen selbst sind nicht von hier, sie sind die Engel, die vor Beginn der Zeiten aus dem Himmel fielen und nach dem Tode endlich wieder heimkehren dürfen.”
Es geht also grundlegend um einen Zuwachs am Eigensein, eine Gewahrwerdung, die über einen Seinszustand, der – und dies ist relevant – schließlich  über die von der inkorporierten Perzeption gesetzte Diesseits-Disposition hinaus verweist. Dies meint nun aber  einen instantanen,  lebenspraktischen Vollzug und im Bewußtsein dieser ‘Option’ einen Fortschritt zum  Gewahrsein jener  bereits gegenwärtig immanenten und eigentlichen Existenz oberhalb der raumzeitlichen Bindung und somit ein Selbsverständnis, das die wandelbare Konstituierbarkeit perzeptioneller Manifestation ( Welt, Parallwelten, höhere Dimensionalitäten) erkennt oder -plotinisch ausgedrückt –  in Anbetracht der Hypostase des Geistes von dem Imperativ  ihrer teleologisch nach oben gerichteten Vollzüge auszugehen hat. Da dieser Zustand  raumzeitlich betrachtet gleich einem Zeitpfeil in die Zukunft weist,  meint das Erinnern des Gewesenen -negativ gesprochen die Kompensation des malum metaphysikum, also des Falles aus der ursächlichen Verfasstheit in die Inkorporation –   eine fortschrittliche (progressive!)  und zukünftig anmutende Seinsart, was vom traditionalen Standpunkt, der eine  latente Neigung  zum Historismus und Ästhetizismus  aufweist, gerne unterschlagen wird. Das  Bild des Wiederaufstieges , der spirituellen Gewahrwerdung, gleicht in seiner Schau mehr einem utopischen Szenario, einem Science Fiction -haften Bild, als irgendeinem historischen Bezug.
 Überhaupt wäre es falsch,  die Gegenwart nur an ihrer (unbestrittenen) Geistesferne zu  bemessen – denn gerade auch diese  hat ihre geschichtliche Konstante, nämlich durch falsche Religion und ihre gegenwärtige Fortsetzung durch ihre säkularchiliastischen Derivate. Und doch drängt alles zur Entwicklung jenseits des raumzeitlich Immanenten, denn die Unvermeidbarkeit des Prozesses universaler spiritueller  Progression ist auch teilhaft im vermeintlich Profanen aller Gegenwart. Die Verwandlung, von der oben die Rede ist, ist dabei ein Leben, das unserem alltäglichen Leben weit voraus ist, indem es die Bildung zu einem neuem Wesen – und Weltenverständnis  eröffnet, somit ist hier  nicht weniger als die Befähigung und Aufgabe angesprochen , Welt und Person disponabel und erweiterbar zu definieren und -selbst innerhalb der alltäglichen ‘Daseins-Grenze’- eine entsprechende (spirituelle) Seins-Hebung in diesem Bewußtsein erwachsen zu lassen.)
Hierzu auch ein passendes Zitat aus Carlos Castaneda, Neue Gespräche mit Don Juan Matus: ” ‘Der bloße Gedanke, von allem, was ich weiß, losgelöst zu sein, läßt mich schaudern’, sagte ich. ‘Das kann nicht dein Ernst sein! Nicht der Gedanke an das, was dir bevorsteht, sondern die Vorstellung, daß du ein Leben lang das tun mußt, was du immer getan hast, sollte dich schaudern lassen. Denk an den Mann, der Jahr für Jahr Korn säht, bis er zu alt und zu schwach ist, um aufzustehen, und dann herumliegt wie ein alter Hund. Seine Gedanken und Gefühle, das beste in ihm, kreisen ziellos um das einzige, was er immer getan hat, das Kornsäen. Für mich ist das die furchtbarste Verschwendung, die es gibt. Wir sind Menschen, und es ist unser Schicksal, zu lernen (Plato!) und uns in die unvorstellbaren neuen Welten (plotinische Hypostase der Vielheit!) schleudern zu lassen.’ ‘Gibt es wirklich neue Welten für uns?’, fragte ich halb im Scherz. ‘Wir haben noch nichts ausgeschöpft, du Narr’, sagte er gebieterisch. ‘Sehen ist etwas für makellose Menschen. Mäßige deinen Geist, werde ein Krieger, lerne sehen, und dann wirst du die Endlosigkeit der neuen Welten unserer Vision erkennen’ “

Gegen Rousseau

Rousseau: “Man habe sich zu schließen beeilt, der Mensch sei von Natur aus grausam und benötige die politische Ordnung, um sanft gemacht zu werden. Hingegen ist doch nichts so sanft wie der Mensch in seinem ursprünglichen Zustand.
Je mehr man darüber nachdenkt, daß dieser (wilde) Zustand am wenigsten zur Umwälzungen neigte und der beste für den Menschen war und daß der Mensch ihn nur infolge irgendeines unheilvollen Zufalls verlassen haben kann, der – um des allgemeinen Nutzens willen-niemals hätte eintreten dürfen.”
Und: “Für den Philosophen sind es Eisen und das Getreide, welche die Menschen zivilisiert und das Menschengeschlecht ins Verderben gestürzt haben.”
H.S. Anton dagegen: “Demeter ist die Göttin der Pflanzenwelt und des Getreides und als solche Lehrerin und Förderin der Kultur des Erdbodens und Gründerin sittlicher Ordnung und somit des Staatswohles. Denn der Ackerbauer bleibt sesshaft und baut sich Wohnung, hält auf gute Sitte und Religion, schreitet zur Ehe und liebt friedliches Leben. So feiert Cicero die Demeter als die Gottheit, welche Sitte und Gesetz, Sanftmut und Humanität einzelnen Menschen und ganzen Staaten gelehrt hat. ”

 

Der Schlüssel zum eleusinischen Mysterium

Erwin Rohde: “Von den einzelnen Vorgängen und Handlungen bei dem langgedehnten Feste kennen wir kaum das Äußerlichste, und auch dies nur sehr unvollständig. Das Mysterium war eine dramatische Handlung, genauer ein religiöser Pantomismus, begleitet von heiligen Gesängen und formelhaften Sprüchen. Dies wäre an sich nichts Singuläres; eine derartige dramatische Vergegenwärtigung der Göttererlebnisse…war eine sehr verbreitete Art griechischer Kultübung. Aber von allen ähnlichen Begehungen … unterschied das eleusinische Fest sich durch die Hoffnungen, die es dem an ihm Geweihten eröffnete. Nach dem Hymnus auf Demeter, hörten wir, darf der fromme Verehrer der Göttinen von Eleusis hoffen auf Reichtum im Leben und besseres Los nach dem Tode. …Weit nachdrücklicher wird uns aber, von Pindar und Sophokles an, von zahlreichen Zeugen verkündet, wie nur die, welche in diese Geheimnissse eingeweiht seien, frohe Hoffnungen für das Leben im Jenseits haben dürfen. Diese Verheißungen einer seligen Unsterblichkeit sind es gewesen, die durch die Jahrhunderte so viele Teilnehmer zu dem eleusinischen Feste zogen; nirgends so bestimmt, so glaubhaft verbürgt konnten sie gewonnen werden. Die Forderung der Geheimhaltung der Mysterien, die sich offenbar auf ganz andere Dinge richtete, kann sich nicht auf diesen zu erhoffenden höchsten Ertrag der Weihe zu Eleusis bezogen haben. Jeder redet laut und unbefangen davon, zugleich aber lauten alle Aussagen so bestimmt und stimmen so völlig und ohne Andeutung irgendeines Zweifels miteinander überein, daß man annehmen muß, aus den geheimgehaltenen Begehungen habe sich für die Gläubigen diese Verheißung nicht als Ahnung oder Vermutung des Einzelnen , sondern als festes, aller Deutung enthobenes Ereignis herausgestellt.”
Hierzu  dann  folgende Anmerkung von Hans Eckstein: “Wie das bewirkt wurde, ist freilich rätselhaft….Irgendwie muß nun den Mysten der eigentliche Sinn der ‘natursymbolischen’, mystisch eingekleideten Handlungen zu verstehen gegeben worden sein.”
Eckstein fährt nun fort bezüglich  der Fragwürdigkeit einer sinnbildlichen Vermummung und der Vorgänge in der Natur unter der Hülle menschenähnlicher Gottheiten – gemeint ist eine natursymbolische Handlung mit Demeter und Persephone, wobei Persephone als Saatkorn symbolisiert wäre und den jährlichen Untergang und die Erneuerung versinnbildlicht- und sagt: “Ich wüßte aber nicht, daß man die Griechen so leicht mit nebelhaften Ahnungen von dem Wege logischer Klarheit habe ablocken und damit gar noch besonders beseligen können.”
Nun H. S. Anton in seiner eigenen Abhandlung über die eleusinischen Mysterien: “Bevor Demeter jedoch den duftigen Tempel, den sie ein Jahr bwohnt hatte, verließ, lehrte sie die Herrscher von Eleusis und alle Gebräuche und sandte den Triptolemus, der den Pflug erfand, aus, daß er auf einem geflügelten Schlangenwagen über die Erde fahre, die Frucht der Demeter, das Samenkorn des Getreides verbreite und die Menschen mildere Sitten lehre. So hinerließ Demeter dem Lande, wo sie freundlich aufgenommen war, den Ackerbau und der Weihen hohes Geheimnis.”
Und zur Mystenfeier, dem zweiten  Grad der Weihe: “Dann erschien die Priesterin der Demeter und Kore (Persephone) und bot ihnen mit der Daduchin vor der versammelten Gemeinde den Kykeon = den Mischtrank, wie er, aus Gerstenmehl und Polei (mentha pulegium) bereitet wurde.”

HIER also kommt man endlich dem Grunde der Sache – wenn auch offenbar unbewußt- einen entscheidenden Schritt näher. Rohde, Eckstein und Anton können – bei all ihrer Gelehrsamkeit und Folgerichtigkeit –  durch diese Tür nicht gehen, weil sie den Schlüssel zum Verständnis nicht in der Hand halten! Natürlich muß  ihnen “rätselhaft” bleiben, wie die eleusinische Verheißung als “festes, aller Deutung enthobenes Ereignis” herausgestellt werden konnte. Die Erklärung hierfür ist nämlich alleine in dem urreligiösen Schema -der grundspirituellen (physisch)  induzierten Empirie – zu suchen, der Erfahrung einer ganz anderen, ontologisch verschiedenen und gehobenen Welt, die von allen Probanden intersubjektiv begehbar ist, die, real, existent, existenter sogar als die gewohnte Umgebung der Raumzeit erscheint.
Wir finden in der theosophischen Sicht Schures eine  in diesem Sinne sehr weiterführende Erhellung des eleusinischen Szenarios:
“Mit einer Gebärde, die keinen Widerspruch duldete, zwang ein phrygischer Priester die Ankömmlinge, beim Eingang sich niederzulassen und warf in den Kessel große Bündel von narkotischen Essenzen. Alsbald füllten dichte Rauchwolken den Saal und man erkannte in einem wirren Durcheinander wechselnde Formen, sowohl tierische, als auch menschliche: Manchmal waren es Schlangen, die sich zu Sirenen ausdehnten und in nichtendende Knäuel verwickelten; manchmal verwandelten sich Büsten von Nymphen mit wollüstig ausgebreiteten Armen in Fledermäuse, Köpfe reizender Jünglinge in Hundeschnauzen.” (An dieser Stelle auch Plutarch: “…daß die Dämonen in den Mysterien eine Rolle spielen, er dürfe jedoch nicht davon reden.”) “Und alle diese Ungeheuer, bald schön, bald gräßlich, luftartig, täuschend, wirklichkeitsfremd, ebenso schnell verschwindend wie auftauchend, wirbelten, schillerten, erregten Schwindel, umringten die erstarrten Mysten, wie um ihnen den Weg zu versperren. Manchmal streckte der Priester Kybeles seinen kurzen Stab durch die Nebelmassen und der Strom seines Willens schien dem vielgestaltigen Bilde selbsteigene Bewegung und inneres kraftvolles Leben zu geben.”
Und: “Soll man Plato, Jamblichus,  Proklus und allen alexandrinischen Philosophen glauben, so hatte die Elite der Eingeweihten im Innern des Tempels Visionen von ekstatischer und wunderbarer Art.”
“Ein ungekanntes Glück, ein übermenschlicher Friede erfüllte dann die Herzen der Eingeweihten. Das Leben schien überwunden, die Seele erlöst, der furchtbare Zyklus des Daseins vollendet. Alle fanden sich wieder voll lichter Freude, voll unsagbarer Sicherheit in dem reinen Äther der Weltenseele.”

In diese Richtung  (zum Kykeon) weiterführend auch Wikipedia “Man hat aber Vermutungen über weitere Bestandteile des in Eleusis getrunkenen Kykeon angestellt, da übereinstimmend von einer überwältigenden Erleuchtungserfahrung berichtet wurde, die sich zuverlässig bei allen Teilnehmern der Mysterien eingestellt hätte. Daher wurde die Theorie diskutiert, dass die Visionen eine Drogenwirkung gewesen seien, die durch dem LSD verwandte, im Mutterkorn-Pilz enthaltene Stoffe (Ergin und Ergometrin) verursacht worden sei. Auch andere Pflanzen und entsprechend andere entheogene Substanzen wurden diskutiert.”

Bereits die Poleo-Minze übrigens wird von G. Samorini in seinem Werk über in der Antike besprochene Rauschmittel als psychoaktiv angegeben!