Lust und Ojas

Die Katha-Upanisad sagt: “Kein vernunftbegabter Mensch wird sich an Langlebigkeit erfreuen, der die Vergänglichkeit des irdischen Lebens erkannt hat und dem klargeworden ist, daß Sinnesfreuden eine Illusion sind, flüchtig und nur eine Reizung des Nervensystems. Wie lange auch immer ein menschliches Leben dauern mag, am Ende muß er sterben.”
Und: “Wer aber das Angenehme wählt, die Sinnesfreuden, verliert das Ziel des Lebens und ist Elend, Kummer und Schwierigkeiten unterworfen.”
Weiter: “Die Weisen, die sich der ewigen Glückseligkeit des atman erfreuen, kümmern sich nicht um die kleinen Sinnesfreuden. Die Gesamtsumme aller Vergnügungen dieser Welt ist nur ein Tropfen, verglichen mit dem Ozean der Glückseligkeit des atman. Sie wissen, daß die Sinnesobjekte die Feinde des atman sind. Sie sind sich voll bewußt, daß die Sinnesobjekte der Selbstverwirklichung im Wege stehen. Daher geben sie radikal die Wünsche nach Kindern, Reichtum, sogar Himmel etc. auf. Wird irgendjemand Melasse und Beeren essen, wenn er Kandiszucker und Mangos in Fülle hat?”

Epikur hingegen sagt: “Daher macht die richtige Erkenntnis, dass der Tod keine Bedeutung für uns hat, die Vergänglichkeit des Lebens zu einer Quelle der Lust, indem sie uns keine unbegrenzte Zeit in Aussicht stellt, sondern das Verlangen nach Unsterblichkeit aufhebt. […] Das schauerlichste aller Übel, der Tod, hat also keine Bedeutung für uns; denn solange wir da sind, ist der Tod nicht da, wenn aber der Tod da ist, dann sind wir nicht da.”
Und: Der Mensch “hat seinen Begierden Grenzen gesetzt; er ist gleichgültig gegen den Tod; er hat von den unsterblichen Göttern, ohne sie irgendwie zu fürchten, richtige Vorstellungen; er nimmt keinen Anstand, wenn es so besser ist, aus dem Leben zu scheiden. Mit solchen Eigenschaften ausgerüstet, befindet er sich stets im Zustand der Lust. Es gibt ja keinen Augenblick, wo er nicht mehr Genüsse als Schmerzen hätte.”

Diese Ansicht aber ist ganz unvollständig. Epikur bemerkt offenbar nicht, daß ‘seine Lust’ sich als Vitalitätsprinzip fortsetzt auch im Tod, daß sie zuerst eine transzendente, feinstoffliche Kraft ist, die vor der Lust im Hiersein eigentliche und originäre Lust oder Beglückung ist und zugleich aber alles Hiersein (alles Vermögen zur Freude) in ihrer Energetik grundlegend übersteigt. Wahrlich ist daher der Tod nicht zu fürchten! Wir sind zuletzt konfrontiert mit einer Kontinuität dieser Kraft, die kumuliert in der allumfassenden Schwingung der (transzendenten) Liebe. Das indische Konzept des Ojas als subtiler Antriebskraft zeigt auf, daß Lust und Lebensenergie im Tieferen eine Seins-Apriorie meinen, es definiert sich als Kraft, Stärke, Lebensfrische, Vitalität, Energie. Es ist gerade auch “umgewandelte Sexualenergie; voll Licht und Glanz. Im Ayurveda ist Ojas das feinste Produkt des Verdauungsprozesses, die feinste Essenz unserer Nahrung und befindet sich nicht mehr auf der materiellen Ebene.” ( Yogawiki)
Man kann auch sagen: Die Scheidung von Leben und Tod wird relativiert in höherer energetischer Ansicht und Seinsart. Das Weltliche – genommen als Symbol und Propädeutik hierzu – ist daher nicht von Übel, schließlich taugt das Weltliche als das gegenwärtige Erleben gerade zur Anreicherung von Ojas als subtiler, essentieller und über-biographischer Kraft zum Erlangen des eigentlichen Seins.
Wer atman anstrebt, der kann im Kleinen somit schon das Große ergreifen. So sind Lust und Freude angesichts des Numinosen weder zu verwerfen noch sind sie nur erreichbar ohne Integration des Numinosen in die Endlichkeit. Dies nenne ich auch einen tantrischen Einspruch, denn der Tantrismus verweist passend auf eine Untrennbarkeit des Relativen und des Absoluten. “Der Tantrismus betont die Identität von absoluter und phänomenaler Welt. Das Ziel des Tantrismus ist die Einswerdung mit dem Absoluten und das Erkennen der höchsten Wirklichkeit. Da angenommen wird, dass diese Wirklichkeit energetischer Natur ist und Mikrokosmos und Makrokosmos verwoben sind, führt der Tantrismus äußere Handlungen als Spiegel innerpsychischer Zustände aus. Da Geist und Materie als nicht vollständig geschieden angesehen werden, ist der hinduistische Tantrismus diesseitsbejahend und benutzt psycho-experimentelle Techniken der Selbstverwirklichung und Erfahrung der Welt und des Lebens, deren Elemente als positive Dimensionen erfahren werden sollen, in denen sich das Absolute offenbart. ” (Wikipedia)