Stephan Schlensog: “Der Dharma, in Bankimcandra Chatterjees weitgefaßter Bedeutung, ist allen Menschen zur Realisierung aufgegeben: aber nicht als klassischer Vollzug eindeutig definierter Pflichten, sondern umgekehrt und modern-individualistisch durch ‘gehörige Ausübung seiner geistigen und körperlichen Anlagen oder Kräfte’. …
Solche Öffnung und Universalisierung des traditionellen Dharma-Begriffs ist einer der wesentlichen Programmpunkte des Neohinduismus geworden, Bankimcandra Chatterjee ist ihr geistiger Wegbereiter. Auch Aurobindo vergeistigt und verinnerlicht den Begriff zusehends bis zur völligen Individualisierung: Aus der Gita liest er, daß sich der Mensch nach seinen Gaben frei entwickeln solle und daß die Selbstfindung und -entwicklung des Menschen seine zentrale Aufgabe sei, mit der er der Gesellschaft am meisten diene. Auch der Dichter Tagorew muß zeitweise unter dem Einfluß Chatterjees gestanden haben, wenn er von der ‘Menschlichkeit’ als Dharma des Menschen spricht und die Aufgabe des Menschen darin sieht, seine universalen Eigenschaften zu kultivieren.”
Das Nicht-Nachkommen dieser Anforderung würde die gänzliche Verfehlung der Inkarnation bedeuten.
Seine Anlagen finden, fördern, leben, ausarbeiten, darlegen, zur Geltung bringen, sichtbar machen und in Relation zum Universellen/Höchsten setzen, das ist es schließlich, warum Inkarnation überhaupt ist. Man wird sich so Selbst bekannt, macht sich dem Ganzen so bekannt – bildet das Ganze in summa mit Anderen zur Darstellung und erhebt sich schlicht selbst in seinen Stand.
Fichte sagt: “Ich will frei sein auf die angegebene Weise, heißt: ich selbst will mich machen zu dem was ich sein werde. Ich müßte sonach, – dies ist das höchstbefremdende, und dem ersten Anscheine nach völlig widersinnige, was in diesem Begriffe liegt, – ich müßte, was ich werden soll, in gewisser Rücksicht schon sein, ehe ich es bin, um mich dazu auch nur machen zu können; ich müßte eine doppelte Art des Seins haben, von denen das erste den Grund einer Bestimmung des zweiten enthielte.” (Die Bestimmung des Menschen)