Angst und Welt

Aus dem Taittiriya-Upanisad: “Furcht und Angst entstehen, wenn da ein zweites Objekt ist. Die sruti erklärt: ‘Durch ein Zweites, wahrlich, entsteht Furcht’. Unterschiede und Dualität sind die Ursachen von Angst. Die Unterschiede sind aus Unwissenheit geboren. Der Kenner des Selbst, der seine Einheit mit Brahman erkannt hat, sieht keine Unterscheidungen und wird dadurch angstfrei. Er fürchtet nicht Geburt und Tod. Wenn er in seinem Selbst zentriert ist, ruht er in seinem eigenen saccidamanda-svarupa (Verkörperung von Sein-Bewusstsein-Glückseligkeit.)
Man könnte vor etwas anderem Angst haben, aber nicht vor sich selbst. Brahman ist die Ursache der Furchtlosigkeit. Auch wenn es in der Welt viele Ursachen für Furcht geben könnte, so ist doch der jivan-mukta (der Erkenne, Erleuchtete) angstfrei. Das zeigt deutlich, daß brahman, das den Wissenden von aller Angst befreit, existiert. Wenn brahman nicht existierte, könnte der Mensch niemals Angstfreiheit erreichen. Also existiert brahman.
Der Mensch gerät in Angst, wenn er auch nur die geringste Verschiedenheit zwischen sich und brahman sieht. Wenn ein Mensch denkt, daß er verschieden von Gott ist und dieser ihn strafen könnte, hat er natürlich Angst. Nur durch Unwissenheit trennt sich der Mensch von brahman. Im Falle des Unwissenden ist der atman in gewisser Weise selbst die Ursache der Angst.
Brahman kann nicht durch intellektuelle Überlegungen verwirklicht werden. Er ist jenseits der Reichweite des Intellekts. Es gibt in brahman keine Dreiheit von Wissendem, Wissen und Gewusstem.”

Da aber (quasi) alle Entitäten in Unterschiedenheit leben, ist auch in allen Angst – ist Weltangst, oder gar Welt aus Angst. Die wahrlich elementarste Unterschiedenheit bezeichnet indes eine ontische Definition, nämlich die Unterschiedenheit des (sogenannten) Lebens zum Tod. Sie bestimmt in allem unser Dasein, dies bewußt oder unbewußt.
Lebt der Mensch aber im Bewußtsein der relativen Nichtigkeit dieses Daseins und schlägt er eine Brücke zu einer Totalität oder Ganzheit, und so zur immerwährenden Präsenz seines Seelenseins, welches völlig unabhängig von Leben und Tod vorhanden ist, wird er der souveräne Statthalter einer Gegenwärtigkeit und Gegenwart, die jene Geschiedenheit übersteigt. Er wird erkennen, daß sein Leben und seine Tat in höherer Kontinuität stehen und daher keinerlei Verlust droht, sondern alles biographische Sein sich summiert und aktualisiert eben in den Zustand seines einzigen Seins, über die Inkarnation(en) hinweg
Die Gottesfurcht aus dem Theismus indes ist Signum falscher Vorstellung, ist fast Voraussetzung zum Eigensein in Trennung und Weltlichkeit:
Die Affirmation der Trennung gebiert Welt und Furcht… – und sie erst gebiert Gott!