Atman und Täuschung

Aus dem Katha-Upanisad: “So wie die Sonne, das Auge der gesamten Welt, nicht verunreinigt wird – durch die Fehler des Auges oder durch die äußeren Dinge -, so wird der eine innere atman nicht verunreinigt durch das Elend der Welt, da Er außerhalb davon bleibt.”
Erläuterung: Genau wie die Sonne, welche die Dinge der Welt beleuchtet, nicht von den Mängeln des Auges oder durch unreine Projekte beinträchtigt wird, so wird auch der atman nicht durch die Leiden der Welt berührt, die durch Wunsch und karma entstehen, denn er bleibt außerhalb dessen.
Genau wie die Schlange mit dem Seil oder wie Silber mit dem Perlmutt im Dämmerlicht manchmal überlagert wird (verwechselt, vermischt) werden, wird auch der atman bzw. brahman (Subjekt) mit der Welt, dem Körper (Objekt) verwechselt – und zwar durch Unwissenheit. Genauso wenig wie das Seil von der Schlange, die an seiner Stelle gesehen, beeinträchtigt wird, wird auch der reine transzendentale atman nicht im geringsten durch die Verwechslung beinflusst. Die Schlange, das Silber, das Wasser, die blaue Farbe existieren nicht wirklich, auch wenn sie anstatt von Seil, Perlmutt, Wüste und Himmel wahrgenommen werden. Sie werden nur aus Mangel an Wissen wahrgenommen. Die wahren Objekte werden nicht berührt durch Verwechslung, denn sie sind jenseits der Überlagerung. Der atman bleibt grundsätzlich unberührt von Wahrnehmungen, auch wenn diese sich scheinbar mit Ihm überlagern.
Handelnder, Handlung und die Früchte davon werden dem atman fälschlich zugesprochen. Sie sind einfach nur falsche Wahrnehmungen, wie die falsche Idee einer Schlange, obwohl es nur ein Seil ist. Atman ist ein Nichthandelnder, Nichtgenießer, und nicht verhaftet.”

Volkmann-Schluck über den Neuplatonismus: “Die Wesensverwirklichung der Seele ist das Hinsehen auf den Nous, das sich in sich selbst Halten. Wenn aber ihr Sein nicht einfach das Dahaben des Gedachten ist, wenn sie ihr Wissen erst aktualisieren muß, dann steht sie in der dauernden Gefahr, das Gedachte fahren zu lassen und ihrer selbst in den Spiegelungen der Sinne ansichtig zu werden. Sie muß, anders als der Nous, der in der Notwendigkeit seines Wesens ruht, im Gegenzug gegen eine in ihr wirksame Verfallenstendenz, die zu ihrem Wesen gehört, sich immer aufs neue zu sich selbst zurückbringen.”

Im Umkehrschluß: Atman tritt dort hervor aus den Wesen (die ihn primär verstellen), wenn jene sich und ihre Objekte eben ‘entwesen’. Und im zunehmenden Wissen darüber, daß die Dinge Bilder der Verstellung sind, wird im und aus dem (Einzel-)Wesen die Weltseele sich selbst bekannt am Grunde ihrer apriorischen ‘Verstetigungs-Tendenz’.